Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman
repräsentativ aus.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass du eitel bist.«
Obwohl ihm ein »Und warum nicht?« auf der Zunge gelegen hatte, verbiss er sich die Frage, weil er die wenig schmeichelhafte Antwort zu kennen glaubte. »Und was hast du in dem Karton mitgebracht?«
»Tampen von unterschiedlicher Stärke, damit ihr die wichtigsten Knoten binden könnt. Eine Klampe, damit ihr lernt, wie man das laufende Gut an Bord belegt. Ein kleines Segelboot, damit wir die richtige Stellung der Segel simulieren können, und noch allerlei andere nützliche Dinge.«
»Du kannst segeln? Das wusste ich nicht.«
»Es gibt viele Dinge, die du nicht über mich weißt.«
»Ist das Fräulein Raab?«, fragte Moses. Sein Leibdiener war neben ihn getreten, ohne dass er es bemerkt hatte. Jetzt schaute er in den Karton.
Otto stellte die beiden einander vor und sagte zu Igraine: »Komm doch bitte herein! Wir können in den Salon gehen, da gibt es einen großen Tisch.«
Jüdisches Altersheim
In den Büschen raschelte es. War es der Wind, der in die Blätter fuhr, waren es Kleintiere auf der Jagd nach Insekten, oder waren sie es, die ihn beobachteten?
Schon seit Stunden traute er sich nicht, den Kopf nach hinten zu drehen und nachzuschauen; er traute sich auch nicht, aus dem Schutz des Alleebaumes zu treten und seinen Standort zu wechseln. Er verharrte auf der Stelle, gefangen in seiner Angst, den Kopf an den Stamm gelehnt, und zählte bis hundert. Als er zum Ende gekommen und nichts geschehen war, war er so erleichtert, dass er Odin überschwänglich dankte.
Er rief sich ins Gedächtnis, dass er sie abgeschüttelt hatte. Niemand war ihm auf die Schönhauser Allee gefolgt und wollte ihn entführen. Niemand konnte wissen, wo er sich aufhielt. Er konnte ungefährdet tun, weshalb er hergekommen war.
Er schaute über die Straße zum jüdischen Altersheim, das gleich neben der jüdischen Begräbnisstätte lag. Das Gebäude hatte ein tagesbelichtetes Souterrain und darüber drei Stockwerke. Es war durch die Eheleute Manheimer Anfang der achtziger Jahre erbaut worden und machte durch die beachtliche Größe, die Fassadengestaltung und die zahlreichen Fenster einen soliden Eindruck.
Der Bankier Frankfurter war wie jeden Dienstagabend durch das Portal gegangen, um seiner greisen Mutter seine Aufwartung zu machen. Normalerweise dauerte sein Besuch höchstens eine Stunde, bevor er das Altersheim wieder verließ und in einer benachbarten Restauration eine Mahlzeit zu sich nahm oder den Droschkenplatz aufsuchte. Heute war er wohl am Krankenbett eingeschlafen, denn es war bereits nach Mitternacht.
Die Fürsorglichkeit Frankfurters durfte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er der Kopf der antigermanischen Verschwörung war. Vor dem Börsenkrach hatte er ein Millionenvermögen angehäuft, das er arglosen Deutschen gestohlen hatte. Dabei war er – rassetypisch – vorgegangen wie eine Zecke, die ihrem Wirt das Blut aussaugte, um sich selber zu ernähren. Gutgläubige Germanen hatten sich aus Verzweiflung aufgehängt, aber Frankfurter hatte auf ihren Gräbern getanzt und im Luxus geschwelgt. Außerdem hatte er das deutsche Geld in jüdische Stiftungen, Schulen und soziale Einrichtungen investiert, um sein Volk zu stärken. Mittlerweile stand der Bankier dem einflussreichen Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens vor, der nach eigener Aussage die deutschen Juden sammeln wollte, um die volle staatsbürgerliche Emanzipation zu erreichen und die Integration in den deutschen Kulturkreis durchzusetzen.
Angeblich wollten diese Blutegel so sein wie die Deutschen!
Wer sollte das glauben?
Nein, der Centralverein war eine raffinierte Masche, um Deutschland zu unterwandern. Niemand würde mehr unterscheiden können, wer ein Freund und wer ein Feind wäre. Das parasitärste aller Völker hätte sich eingenistet, um die Herrschaft zu übernehmen.
Es gab nur noch wenige aufrechte Bürger, welche die Gefahr erkannt hatten und gegen den inneren Verfall ankämpften, und er war einer von ihnen. Nachdem das Sprachrohr der Verschwörer, der Zeitungsunternehmer Salomon Hirsch, getötet worden war, würde er sich nun den einflussreichen Mann im Hintergrund vornehmen.
Glücklicherweise war um diese späte Stunde kaum noch jemand unterwegs. Er griff nach seiner Feldflasche, schraubte den Verschluss ab und trank einen Schluck. Pfui Teufel! Etwas stimmte mit dem Wasser nicht! Er spuckte mehrmals aus, bis der verdächtige Geschmack aus seiner
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