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Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Titel: Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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gelegt haben kann, weil er in jener Nacht an einem anderen Ort war.«
    »Der Neger war bestimmt bei dieser Künstlerin, Igraine Raab. Die lässt doch jeden ran.«
    Otto bemühte sich, objektiv zu bleiben. Ihm fiel ein altes Sprichwort ein, das lautete: »Was Karl über Fritz sagt, sagt mehr über Karl aus als über Fritz.« Vielleicht hatte Trittin ebenfalls um Igraine gebuhlt und war abgewiesen worden. Vielleicht war er in seiner Ehre verletzt worden und rächte sich nun durch üble Nachrede. »Es hat sich herausgestellt, dass Sie vor dem Mord einen Streit mit Wilhelm Maharero hatten.«
    »Mit Negern streite ich nicht, Negern gebe ich Anweisungen.«
    »Dann haben Sie Wilhelm Maharero also befohlen, Ihren Kopf und Ihre Nasenwurzel zu vermessen?«
    Professor von Trittin hatte mit einer kleinen Schildpattfigur, die mit ihrer hellgelben Färbung wohl aus Ostindien stammte, gespielt. Mit einem Knacken brach er ihr die Arme ab. »Und jetzt glauben Sie, dass ich das Zigarrenetui in den Käfig gelegt habe, um diesem Halbaffen eins auszuwischen? Für wie beschränkt halten Sie mich, Sanftleben? Ihre Zeit ist soeben abgelaufen.« Er stand auf, kletterte das Podest hinunter, ging um den Schreibtisch herum und wies Otto den Weg zur Tür.
    »Wo waren Sie in der Nacht vom zweiten auf den dritten Juni?«, fragte dieser.
    »In der Nacht von dem zweiten auf den dritten, sagen Sie?«, erwiderte Professor von Trittin, legte den Zeigefinger an die Lippen und kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Da muss ich bei einem Kollegen in Hamburg gewesen sein, um den Transport einiger Exponate zu besprechen, und bei einem Galadiner des Senators war ich auch.«
    »Wie heißt der Senator?«
    »Ach, warten Sie. Jetzt fällt es mir ein. Ich war in der Schorfheide, um an einer Treibjagd teilzunehmen. Haben Sie mal Wild gegessen, das aus dieser Region stammt? Es gibt kein schmackhafteres Fleisch.«
    »Wer hat die Treibjagd veranstaltet?«, fragte Otto.
    »Ach, wenn ich es mir genau überlege, war ich nicht in der Schorfheide, sondern muss irgendwo anders gewesen sein. Vielleicht im Zoologischen Garten?«
    »Waren Sie alleine dort?«
    »Vielleicht, vielleicht auch zu zweit oder zu dritt, vielleicht war ich auch gar nicht da. Richten Sie Ihrem Commissarius aus, dass ich nicht bereit bin, einer beliebigen Hilfskraft Auskunft über mein Privatleben zu geben. Er soll mir einen richtigen Polizisten schicken oder selber vorbeikommen. Und jetzt fordere ich Sie auf, mein Büro zu verlassen. Sie wollen doch sicher vermeiden, dass ich die Museumswärter rufe, damit die Männer Sie nach draußen begleiten.«
    Otto hatte sich aus dem Fauteuil hochgezogen und war auf die Beine gekommen. Zum Abschied streckte er dem Wissenschaftler die Hand entgegen. »Vielen Dank, dass Sie mich empfangen haben. Unser Gespräch war sehr aufschlussreich.«
    Der Wissenschaftler übersah die ausgestreckte Hand, wandte sich ab und trat zum Fenster, wo er die Arme über der Brust kreuzte. Über sein Antlitz legte sich ein schmerzvoller Ausdruck; seine Augen glichen tiefen Brunnen. »Wir sehen uns bei der Übungsregatta«, sagte er. »Da kann ich leider nicht so nachsichtig sein. Sie haben ja keine Ahnung, was Sie Ihrem Hausneger angetan haben.«
    Otto verließ das Völkerkundemuseum auf dem kürzesten Weg. Draußen hatte der Regen ausgesetzt. So entschloss er sich, sich etwas die Beine zu vertreten und über die Begegnung nachzudenken.
    Er hatte schon häufig beobachtet, dass Menschen mit einer geringen Selbstachtung anderen etwas vormachten, indem sie Titel anhäuften, die Nähe von bekannten Persönlichkeiten suchten und Kostbarkeiten sammelten. Akademische Würden, der Glanz der anderen oder der schlichte Besitz ersetzten den Mangel an Persönlichkeit. Angesichts der übertriebenen Anstrengungen, die Professor von Trittin unternahm, um sein Gegenüber zu blenden und einzuschüchtern, konnte es um seine Selbstachtung nicht sehr gut bestellt sein. Er trug Zweifel in sich, über die er andere täuschen wollte.
    Fraglich war nur, ob er sich selbst auch täuschen konnte oder ob ihn regelmäßig ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit befiel. Was geschah, wenn er die Leere nicht mehr ertrug? Fügte er sich dann Verletzungen zu, oder nahm er eine Zielverlagerung vor? Beteiligte er sich dann an Pogromen, wie er es in seiner Studentenzeit getan hatte? Verfasste er eine Hetzschrift, die nur so vor Hass triefte? Oder entführte er einen Juden und quälte ihn mit einem blutigen Ritual zu Tode?
    Das

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