Mord in Babelsberg
Gesicht.
»Oh, das sehe ich ganz anders«, sagte sie und küsste Walther auf die Wange.
»Worum geht es denn in Ihrem nächsten Lied?«, fragte Esther höflich, worauf Jenny nur den Zeigefinger an die Lippen legte.
Als die Scheinwerfer die Bühne erhellten, brach Gelächter los. Der Körper, der vorhin noch in einem Bärenkostüm gesteckt hatte, war jetzt in einen karierten Mantel gehüllt. Auf Jennys Bubikopf saß eine karierte Mütze mit Ohrenklappen, und sie hielt in der einen Hand eine Pfeife, in der anderen eine überdimensionale Lupe.
Als die Lachsalven verklungen waren, trat sie ans Mikrofon. »Das nächste Lied widme ich einem besonders guten Freund. Er wird schon wissen, warum.«
Als der Pianist die ersten Takte spielte, warf sie Pfeife und Lupe mit einer eleganten Bewegung hinter sich, riss sich die Mütze vom Kopf und schleuderte den Mantel in die Kulissen. Ihr Kleid glitzerte silbern im Licht, als sie sich lasziv auf einen hohen Hocker setzte und die Beine in den schimmernden Seidenstrümpfen ausstreckte.
Mein Freund heißt Sherlock Holmes und kann nicht küssen,
Er trägt ’nen blöden Hut und ist zu dünn.
Und wenn wir schmusen, lauscht der dumme Tropf nach Schüssen,
Da könnt ihr sehen, wie geplagt ich mit ihm bin.
Doch wenn er meine Fälle löst – dann werd ich schwach!
Beim letzten Satz blickte sie verführerisch über die Schulter, woraufhin ein Raunen durchs Publikum ging. Ihre tiefe, ein wenig raue Stimme verströmte einen ganz besonderen Zauber. Doch Jenny hatte gerade erst begonnen.
Mein Freund heißt Sherlock Holmes und kann nicht küssen,
Und wenn wir ausgehn in ein schickes Gastlokal,
Holt er die Lupe raus und sucht nach Gift in Nüssen,
Da könnt ihr sehn, der Mann ist nicht normal!
Doch wenn er bei mir Spuren sucht – dann bin ich weg!
Erster vorsichtiger Szenenapplaus. Clara hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht loszulachen, während Leo grinsend zu seinem Freund hinübersah, der wie hypnotisiert auf dieBühne starrte. Sonnenschein verschluckte sich an seinem Sekt, so dass Esther ihm energisch auf den Rücken klopfen musste.
Jenny rutschte anmutig von ihrem Hocker, trat ans Klavier und lehnte sich darüber, ohne ihr Publikum aus den Augen zu lassen, während der Pianist eine Strophe instrumental spielte.
Eine Blume flog auf die Bühne, die sie rasch aufhob, bevor sie wieder ans Mikrofon trat.
Mein Freund heißt Sherlock Holmes und kann nicht küssen,
Er schenkt nie Blumen und macht schlechten Tee.
Sind wir allein, wird er mit Watson sprechen müssen,
Es dauert Tage, bis ich ihn dann wiederseh.
Doch wenn er bei mir observiert – dann bin ich hin!
Sie legte die Blume aufs Klavier, und auf ein Zeichen hin kam der Mantel aus den Kulissen geflogen. Sie zog ihn an und schlug den Kragen hoch. Als sie nun vors Mikrofon trat, wirkte sie beinahe schüchtern, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und sang die letzte Strophe nur für Robert.
Mein Freund heißt Sherlock Holmes und kann nicht küssen,
Er schlägt den Kragen hoch und liebt sich sehr.
Pass ich nicht auf, sucht er im Bett nach Spur’n von Füßen,
Dann sag ich mir so oft: Jetzt geht’s nicht mehr!
Doch wenn er bei mir deduziert – aaahh!
Beim letzten Satz sank sie wie ohnmächtig auf den Hocker.
Der Applaus war unbeschreiblich. Das Publikum tobte.
Leo stand als Erster auf, dann folgten die anderen, mittendrin Walther, der seinen Stolz nicht verbergen konnte.
Als sich der Applaus gelegt hatte, beugte Leo sich zu seinem Freund: »Na, wenn das keine Liebeserklärung war …«
E IN KURZES N ACHWORT
Die beiden Mordfälle, die Leo Wechsler und seine Kommission lösen, sind meiner Fantasie entsprungen (wenngleich in Berlin um diese Zeit durchaus pornographische Filme gedreht wurden).
Historisch sind hingegen die Morde an den Geschwistern Erika und Otto Fehse aus Breslau, zu deren Ermittlung Kriminalrat Ernst Gennat von Mitte Juni bis Ende Juli 1926 hinzugezogen wurde. Eine ausführlichere Beschreibung der Ermittlungen in diesem grausigen Fall findet sich in Regina Stürickows Buch Mörderische Metropole Berlin. Kriminalfälle 1914–1933 (Leipzig 2004). Eine besondere Tragik des Falls liegt darin, dass er trotz aller Bemühungen nie aufgeklärt wurde, obwohl bis in die 1930er Jahre immer wieder neue Spuren verfolgt wurden.
Das berühmte »Mordauto«, von dem Ernst Gennat zu Beginn des Romans spricht, wurde tatsächlich nach seinen Plänen gebaut und auf der Großen Polizeiausstellung, die am 25.
Weitere Kostenlose Bücher