Mord in Der Noris
schwammig war und damit exakt ihrem Kenntnisstand, wie tief
Schneider-Sörgel in diesem Doppelmord steckte, entsprach. Sie hoffte, dass eine
so ungeheuerliche Unterstellung ihn zum Reden bringen würde.
Doch Schneider-Sörgel blieb seiner Taktik des
beharrlichen Schweigens treu. Stumm, aufrecht und unbeeindruckt musterte er
sie. Erst als sie eine Spur Belustigung in seinem Gesicht zu erkennen glaubte,
konfrontierte sie ihn mit dem einzigen Unterpfand, das ihr in dieser Sache noch
zur Verfügung stand.
»Na, dann lassen wir das vorerst. Etwas anderes: Warum
haben Sie mich das letzte Mal angelogen? Und mir diese Räubergeschichte von der
gestohlenen Kreditkarte aufgetischt? Wir haben nämlich zwischenzeitlich Ihre
Konten überprüft. Sie waren zwar im Krankenhaus, aber zu dem fraglichen
Zeitpunkt wurde kein einziger Cent von Ihren Konten abgehoben.«
Schneider-Sörgel schloss einen Moment die Augen und
strich sich mit einer schnellen Handbewegung über die Stirn. Dann richtete er
den Blick wieder auf sie, sagte aber nichts.
Also fuhr Paula fort. »Im Übrigen glaube ich Ihnen
auch nicht, dass Frau Platzer Ihnen diesen Brillantring gestohlen hat. Wissen
Sie, was ich glaube? Dass Sie den Brillanten Ihrer Tochter geschenkt haben, und
die hat ihn sich als Ohrstecker umarbeiten lassen. Aber das ist jetzt
zweitrangig. Mit dem vorgeblichen Gelddiebstahl haben Sie sich auf jeden Fall
gleich zweierlei Vergehen strafbar gemacht. Zum einen der Rufschädigung von
Frau Platzer post mortem und zum anderen der vorsätzlichen Falschaussage
gegenüber der Polizei. Und das kann ich Ihnen mit Gewissheit sagen: Der Grund
für diese offensichtliche Lüge interessiert nicht nur mich. Auch das Gericht
wird wissen wollen, was es damit auf sich hat, warum Sie eine
Ermittlungsbeamtin anlügen. Und seine Schlüsse daraus ziehen.«
Sie wartete, ob der Verweis auf eine strafbare
Handlung sein nach wie vor beharrliches Schweigen brechen würde. Damit hatte
sie all ihre Trümpfe auf den Tisch gelegt. Wenn er jetzt nicht reden würde,
dann blieb ihr nichts anderes übrig, als zu gehen.
Als Schneider-Sörgel endlich den Mund aufmachte,
lächelte er sie vielsagend und überlegen an.
»Ach, Frau Steiner, in meinem Alter kann man schon mal
was durcheinanderbringen. Das Gedächtnis funktioniert nicht mehr so gut wie
früher. Es ist möglich, dass ich mich da getäuscht habe. Vielleicht fiel dieser
Diebstahl in eine andere Zeit als in die meines Krankenhausaufenthaltes,
vielleicht habe ich Frau Platzer mit einer anderen Pflegerin verwechselt – oder
einem männlichen Pfleger –, vielleicht gab es überhaupt keinen Diebstahl, und
ich hab mir das in meiner beginnenden geistigen Verwirrung nur eingebildet? Wer
weiß.«
Sie war enttäuscht und wütend. Über sich, aber auch
über diesen beherrschten, smarten alten Mann. Und immer, wenn sie sich von
einem Verdächtigen derart provoziert fühlte wie momentan, geriet sie ins
Schwadronieren, wurde sie unkontrolliert und schwatzhaft. Und auch ein wenig
aggressiv.
»Ich frage mich, wie das für Ihre Tochter war, so ohne
Vater aufzuwachsen, anfangs zumindest. Schön bestimmt nicht. Aber irgendwann
haben Sie ja offenbar zueinandergefunden. Ich denke mir, jetzt sind Sie froh,
doch noch so etwas wie eine Familie zu haben. Im Alter ist so was ja mitunter
ganz praktisch. Man ist dann nicht so allein, gell? Na, die nächste Zeit müssen
Sie ja wohl oder übel auf Frau Ruckdäschel verzichten. Wir haben sie nämlich
verhaftet. Und ob der Kontakt dann noch über Ihre Enkeltochter und den Urenkel
aufrechterhalten bleibt, wer weiß? Das ist ja nur die zweite und dritte Linie.
Und wenn Ihre Tochter nach langer Zeit aus dem Gefängnis kommt, dann kann es
durchaus sein, dass Sie das nicht mehr miterleben.«
Jetzt war sie zu weit gegangen. Sie wollte ihn
verletzen, das ja, aber nicht auf diese schäbige Art und Weise, die sich
ausschließlich auf sein Alter bezog. Sie holte kurz Luft.
»Was mich noch interessieren würde, ist, ob Sie bei
den Treffen von Frau Platzer mit ihrer Halbschwester dabei waren. Aber das
glaube ich nicht. Denn dann hätten Sie Frau Platzer von einer anderen Seite
erlebt, von einer ganz privaten und vielleicht liebenswürdigen. Denn ich bin
überzeugt, bei diesen Zusammenkünften mit Ihrer Tochter zeigte sie sich …«
Es klopfte an der Tür. Da Schneider-Sörgel keine
Anstalten machte aufzustehen, musste sie öffnen gehen. Es war Heinrich.
»Kommst du bitte mal. Ich muss dir was
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