Mord in Der Noris
auszusprechen gewagt hatte: »Sie
schon wieder!«
»Ja, ich schon wieder, Herr Schneider-Sörgel. Und das
hier«, sie deutete auf die neben ihr stehende Anwärterin, »ist meine Kollegin
Frau Brunner. Wir dürfen doch hereinkommen.« Es sollte eine Frage sein, aber es
klang wie eine Feststellung.
»Nein.«
Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um an
ihm vorbei in den Raum sehen zu können.
»Ach schade, Ihre Staffelei ist ja heute leer. Ich
hätte meiner Kollegin gern das hübsche, fast fertige Ölgemälde von meinem
letzten Besuch bei Ihnen gezeigt. Wo steht es denn jetzt?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Da war kein Bild
auf der Staffelei.«
»Doch, Herr Schneider-Sörgel. Da war ein Bild. Und
zwar«, sie langte in ihre Umhängetasche, zog die kleine gerahmte Fotografie
heraus, die sie gestern in der Waltherstraße hatte mitgehen lassen, und hielt
sie ihm hin, »dieses hier.«
In Schneider-Sörgels Gesicht zeigte sich für einen
kurzen Moment, in einem kaum wahrnehmbaren Heben und Senken der Augenlider, ein
immenses Erstaunen. Doch schon nach einer Sekunde hatte er sich wieder in der
Gewalt. Das beherrschte er gut, dieses von Verdruss und Übellaunigkeit
gekennzeichnete Mienenspiel, dem jetzt sogar ein klein wenig Hochmut beigemengt
war.
Sie überlegte. Ob er in seiner Vorsorge so weit
gegangen war, dieses immerhin fast fertige Gemälde von seinem Urenkel zu
vernichten? Nein, das traute sie dem Künstler nicht zu. Schon seiner Eitelkeit
wegen nicht.
»Entweder Sie übergeben uns dieses Gemälde
augenblicklich, oder Frau Brunner wird zusammen mit den beiden Kollegen, die
vor dem Haus warten, Ihr Appartement danach durchsuchen.«
»Haben Sie denn überhaupt einen
Hausdurchsuchungsbefehl dafür? Ich kenne meine Rechte.«
»Bei Gefahr im Verzug brauche ich keinen
Durchsuchungsbeschluss. Und ab sofort ist Gefahr im Verzug. Also, was ist?
Zeigen Sie es uns freiwillig, oder müssen wir danach suchen?«
Er schüttelte den Kopf und wollte ihnen schon die Tür
vor der Nase zuschlagen, da stellte Eva Brunner schnell den Fuß in den Rahmen.
Während die Anwärterin Brunner mit ihrem Handy telefonierte, trat die
Hauptkommissarin Steiner in das Appartement und sah sich aufmerksam um.
Eine Minute später standen die zwei Polizisten
ebenfalls in dem von der Sonne durchfluteten Appartement. Schließlich setzte
sich Wilhelm Schneider-Sörgel an den kleinen Tisch auf einen seiner unbequemen
beigefarbenen Stühle und sagte: »Es ist hinter dem Kleiderschrank nebenan.« Er
wies auf die rechte Tür.
Eva Brunner ging als Erste in das aufgeräumte
Schlafzimmer, die beiden Schutzpolizisten folgten ihr. Sie hörte ein knarzendes
Geräusch, dann ein Quietschen. Als die drei Uniformträger wieder zurückkehrten,
trugen sie das Gemälde bei sich.
»So«, sagte Paula und gab sich Mühe, dabei amtlich und
wichtig zugleich zu klingen, »dieses Bild ist hiermit als Beweismaterial
beschlagnahmt.« Sie überreichte der Anwärterin die Fotografie. »Bitte, Frau
Brunner, veranlassen Sie die Überführung dieser beiden Dokumente ins
Polizeipräsidium.«
Obwohl Eva Brunner genau wie sie selbst wusste, dass
die zwei Bilder vor keinem Gericht dieser Welt irgendeine Bedeutung als »Beweismaterial«
in diesem Mordfall haben würden, spielte sie ihre Rolle in dieser Farce
bühnenreif. Sie nickte kurz mit dem Kopf und wies die beiden Polizisten an, ihr
nach draußen zu folgen.
Daraufhin setzte sich Paula ungefragt zu
Schneider-Sörgel an den kleinen runden Tisch, legte Stift und Notizblock vor
sich und sah dem Künstler in die Augen. Nein, ein banges Gefühl oder gar Furcht
konnte sie auch jetzt darin nicht erkennen. Schneider-Sörgel schien sich seiner
Sache noch immer sehr sicher zu sein.
»Was hatten Sie mit diesem Bild eigentlich vor?
Wollten Sie es für sich behalten, oder sollte es ein Geschenk für Ihre Tochter
werden?«
Sie erhielt keine Antwort.
»Wissen Sie, das verstehe ich nicht. Es ist doch nicht
strafbar, ein Bild von seinem Urenkel zu zeichnen. Mit dieser völlig
überflüssigen Geheimnistuerei haben Sie sich keinen Gefallen getan. Damit, und
nicht mit der Zeichnung selbst, haben Sie sich erst verdächtig gemacht. Warum
sollte das niemand wissen, dass Sie der Vater von Melitta Ruckdäschel sind? Das
ist doch nichts, was man verbergen müsste. Es sei denn …«
Das Ende des Satzes ließ sie unausgesprochen. Und auch
die darin versteckte Verdächtigung, die alles und nichts bedeuten konnte. Die
so vage und
Weitere Kostenlose Bücher