Mord in der Vogelkoje
vermissten Kollegen irgendwo in Deutschland Kunde hat. Könnte sein, dass der Beruf des Toten in diese Richtung weist. Und da jetzt alles aufs Beste geregelt ist«, schloss Asmus erleichtert und stand auf, »fahre ich nach Hause, damit sich gar nicht erst weitere Fragen nach Geburtsterminen erheben.«
Ose wandte sich mit vorwurfsvollem Blick ihrer Mutter zu.
»Na ja. Das letzte Glas war vielleicht etwas zu stark«, flüsterte Blaicke ihr zu. »Schreib es meiner Enttäuschung zu.«
Dass er etwas beschwipst war, hinderte Asmus nicht daran, auf seinem Weg durch das Städtchen den zunehmenden Verfall mancher Häuser kritisch zu betrachten. Die Besitzer oder Mieter waren ausgezogen, die Gärten verwilderten, und auf der Straße davor wuchs Unkraut. Dies und die Stimmengewinne der äußersten Rechten und der Kommunisten bei der Reichstagswahl vor ein paar Tagen machten nachdenklich. Die nächste Zukunft sah nicht rosig aus.
Asmus kam ohne Unfall zum Haus des Kaufmanns Sibbersen in Westerland, bei dem er im Untergeschoss wohnte. Die Wohnung hatte dessen ermordetem Sohn Cord gehört. Asmus hatte den Fall aufgeklärt und war heilfroh gewesen, im Winter von seinem unbeheizbaren Segelboot in das Haus des dankbaren Kaufmanns überwechseln zu dürfen, der sich seinerseits freute, nicht so einsam zu sein.
Während Asmus den Entenkopf abzeichnete, ließ er sich durch den eigenen Kopf gehen, was er gesehen hatte und darüber hinaus im Zusammenhang mit dem Todesfall wusste.
Ein Mann in Gesellschaftskleidung war in der aufgegebenen Entenkoje erschossen worden. Durch den Kopf einerhölzernen Lockente in seiner Hand war gesichert, dass der Entenfang ihn in die Koje geführt hatte. Seine Ente war nicht einheimisch, und der Besucher war dementsprechend wohl auch fremd. Was er gewollt hatte, war völlig unbekannt.
Diesem Toten gegenüber standen Besucher der Koje, die vor kurzem ein Lagerfeuer entfacht und vermutlich Krickenten aus der Dose verzehrt hatten. Ob sie mit dem Toten in Verbindung standen, war unbekannt. Bei passender Windrichtung und nur oberflächlichem Streifzug durch das Gelände hätten sie den Toten nicht notwendigerweise entdecken müssen. Möglicherweise waren sie ja sogar vor dem Mord in der Koje gewesen. Oder hatten sie den gutgekleideten Herrn erschossen?
Was den Mörder betraf, gab es den ungesicherten Verdacht, dass er durch einen Schuss außerhalb der Koje aufgeschreckt worden war, bevor er den Toten hatte mit Erde abdecken können.
Am nächsten Morgen erledigte Asmus Routinearbeit am Schreibtisch. Nachdem Sinkwitz erschienen war, erstattete er ihm Rapport. Da der Hauptwachtmeister weiterhin große Distanz zu seinem Untergebenen wahrte, der hierher zwangsversetzt worden war und den er nicht benötigte, der andererseits aber erkennbar nicht den Ehrgeiz hatte, ihn als Dienststellenleiter aus seiner Position zu vertreiben, herrschte zwischen ihnen eine Art Burgfrieden. Sinkwitz ließ sich erklären, wie Asmus vorzugehen gedachte, und war einverstanden.
Danach verfasste Asmus ein Schreiben an jede wichtige und erreichbare Interessentengemeinschaft von Entenkojen mit der Frage, ob dort ein Fremder aufgetaucht sei, der mit Hilfe einer hölzernen Lockente Erkundigungen eingezogen habe, und wenn ja, zu welchem Zweck.
Bis Matthiesen und er mit dem Abschreiben des Briefes an sieben Schriftführer von Entenkojen auf Amrum, Föhr, Pellworm und Nordstrand fertig waren, war es Mittag geworden. Zeit, sich zur Klinik zu begeben.
Dr. Borg Godbersen war mit der Untersuchung des Leichnams gerade fertig geworden. Ein Helfer in grauem Kittel wusch im Waschbecken eines langen, rotgefliesten Arbeitstisches die Instrumente ab. Auf einem Rollwagen lagen Nierenschalen mit verschiedenen Innereien, auffallend besonders das zerfetzte Herz.
Es roch deutlich nach Darminhalt und Verwesung.
»Du hältst es wieder aus, ja?«, erkundigte sich Borg, nicht spöttisch wie einst, sondern besorgt. Immerhin war inzwischen aus dem zwangsversetzten Schupo der Verlobte seiner Tochter geworden.
»Ja, ja«, beteuerte Asmus. »Hat sich etwas Besonderes ergeben?«
»Eigentlich nicht«, verneinte Borg und zog sich die steifen Handschuhe aus, um sie auf dem Ziegeltisch zu deponieren. »Ein Präzisionsschuss, wie du bereits festgestellt hast, der durch die rechte Herzkammer ging und zum Tod führte. Wahrscheinlich an Ort und Stelle. Der Mann muss neben oder in der Pfeife gestanden haben.«
»Und sonst?«
»Er war gut ernährt, was heutzutage
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