Mord in der Vogelkoje
rückte beiseite, als Feddersens Frau mit dem Teegeschirr kam. Aus der Kanne duftete es nach echtem schwarzem Tee, eher eine Seltenheit heutzutage. »Vielleicht könnte man die Ursache ja abstellen. Ich denke da an Wissenschaftler, zum Beispiel …«
»Dafür interessiert sich kein Mensch. Und wenn der Damm erst fertig ist und die Züge drüberrattern, werden die Fänge noch geringer werden. Enten mögen an ihren Rastplätzen nicht gestört werden. Auch unsere Interessengemeinschaft wird feststellen, dass das Instandhalten der Koje mehr kostet, als die Enten einbringen«, prophezeite der alte Kojenmann. »Heutzutage geht ja alles nur nach dem Geld.«
»In diesen Notzeiten ist das wohl so.«
»Hat nichts mit Notzeiten zu tun. Veränderung ist der Lauf der Welt.« Der Kojenmann griff sich seine Pfeife, diean der Wand hing, und begann, sie mit etwas Blassgrünem zu stopfen, das nicht wie Tabak aussah.
»Sind denn irgendwo anders Wissenschaftler aufgekreuzt?«
Feddersen stellte das stoßweise Ansaugen von Luft in das Mundstück ein und sah auf. »Was willst du denn immer mit diesen Wissenschaftlern? Durch deinen klugen Kopf geistert doch etwas Bestimmtes. Frag mich direkt, dann kommen wir besser miteinander längs.«
Er hatte recht, Asmus nickte. »In einer Pfeife der Kampener Entenkoje lag ein Herr, gekleidet wie für ein gesellschaftliches Ereignis, einen Vortrag vielleicht. Tot, mit einem hölzernen Entenkopf in der Hand.«
»Ah so! Und ihr wisst nicht, wer er ist und was er da trieb. Aber die Lockente bringt euch darauf, dass er Wissenschaftler war?«
»Du kennst Lockenten?«, fragte Asmus verwundert.
Feddersen nahm die Pfeife aus dem Mund und schmunzelte. »Warum denn nicht? Auch ein alter Koymann kann lesen.«
»Ich dachte, sie seien nur in Süddeutschland gebräuchlich«, antwortete Asmus verlegen. Bis vor zwei Tagen war ihm selbst das unbekannt gewesen.
»Damit weißt du ja schon mehr als die meisten. Die Föhrer hatten früher auch welche. Aus Holz, mit einem Korken als Hals. Die sahen lebendem Federvieh nicht wirklich ähnlich, aber den durchziehenden Enten reichte es. Vielleicht fanden die Föhrer das Schnitzen leichter als das Abrichten echter Enten.«
»Und inzwischen haben sie das aufgegeben?«
»Lebende Lockenten sind natürlicher und mit Futter auch leichter zu lenken. Hölzerne in eine Pfeife zu bugsieren, geht kaum, vor allem nicht, wenn man allein arbeitet. Offene Gewässer wie der Bodensee eignen sich für diese Attrappenbesser. Die werden im Seegrund verankert, die Wildenten lassen sich in ihrer Nähe nieder und werden erschossen.«
Asmus dachte einen Augenblick darüber nach. »Ingwert Feddersen! Du bist der Fachmann, den ich zu finden hoffte«, sagte er dann feierlich. »Darf ich wiederkommen, wenn ich speziellere Fragen habe? Für heute habe ich genug erfahren. Ich würde gerne mit dir auch die Entenkoje besichtigen, wenn es geht.«
»Deine Frage habe ich dir noch gar nicht beantwortet! Nein, es war niemand hier, der sich nach Enten erkundigt hätte. Und du kannst gerne wiederkommen. Meistens arbeite ich morgens in der Koje.«
Insgeheim beschämt, verabschiedete sich Asmus von dem klugen Kojenmann, der trotz seines fortgeschrittenen Alters kein Stück an Wachsamkeit eingebüßt hatte. Auch gegenüber Lebewesen, die keine Enten waren.
Jetzt war Asmus sehr neugierig darauf geworden, was der Kampener Kojenmann ihm erzählen konnte. Hoffentlich war er wenigstens annähernd so kenntnisreich wie Feddersen. Asmus beschloss, am nächsten Tag mit Lorns nach Kampen zu fahren. Außer mit dem Kojenmann wollte er noch mit dem Verantwortlichen für die ehemalige Interessengemeinschaft sprechen, vielleicht auch mit ein oder zwei anderen Hauptinteressenten.
Sie waren beide auf eigenem Motorrad unterwegs und veranstalteten einen ziemlichen Lärm, als sie in die Dorfmitte fuhren, wo sie die Motoren abstellten. Mehrere Dörfler betrachteten den Besuch misstrauisch, bevor sie in ihren Häusern verschwanden.
»Sie mögen uns nicht«, stellte Matthiesen recht verärgert fest. »Wieso denn das? Die sind doch sonst nicht so abweisend!«
»Wahrscheinlich hat sich herumgesprochen, dass wir einen Toten gefunden haben. Sie wollen nicht befragt werden«, mutmaßte Asmus. »Das ist nicht außergewöhnlich, eher der Normalzustand, du wirst feststellen, dass niemand den Mann je gesehen hat. Menschen mögen mit vielen Dingen nichts zu tun haben.«
»Aber es ist unsere Insel!«, widersprach Matthiesen noch
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