Mord in Thingvellir
Gesellschaft angeschlossen, begann Drogen zu nehmen und nachts wegzubleiben. Sie wurde in dieses wilde Nachtleben gezogen, vor dem ich sie ständig gewarnt habe.«
»Dieses Mal könnte sie in wesentlich größeren Schwierigkeiten stecken. Eventuell sogar in Lebensgefahr.«
Je länger unser Gespräch dauert, desto mehr Sorgen macht sich Sigrídur um ihre Tochter. Schließlich hält sie nichts mehr auf ihrem Stuhl. Sie steht auf und ruft Gunnhildur an.
Sie versucht es sowohl auf der Festnetz- als auch auf der Handynummer. Aber bekommt keine Antwort.
»Hast du einen Schlüssel zu ihrer Wohnung?«, frage ich.
»Ja, sie hat mir letztes Jahr einen Zweitschlüssel gegeben, als sie umgezogen ist, aber ich war zuletzt im Frühjahr bei ihr.«
»Findest du es nicht sicherer, mal bei ihr nachzusehen?«
»Vielleicht.«
»Komm, ich fahre dich hin.«
Gunnhildur hat sich in einer Zweizimmerwohnung im vierten Stock eines Mehrfamilienhauses in Melar eingerichtet. Einem Stadtteil im Herzen der Weststadt.
Im Wohnzimmer stehen einfache, gemütliche Möbel von IKEA. Aber die Luft riecht abgestanden. Und setzt sich aus vielen Düften zusammen.
Zigaretten. Duftkerzen. Hasch?
Sigrídur öffnet die Fenster im Wohnzimmer. Ich gehe in die Küche, mache den Kühlschrank auf und überprüfe das Verfallsdatum der Milchprodukte.
Die Sportlermilch ist schon vor einer Woche abgelaufen.
»Gunnhildur hat ihren Kühlschrank seit Tagen nicht benutzt«, stelle ich fest.
Im Schlafzimmer herrscht das organisierte Chaos. Klamotten, CDs, Zeitschriften und Schminksachen liegen an den unglaublichsten Stellen. Wie bei einem Jugendlichen, der sich weigert, sein Zimmer aufzuräumen, aber trotzdem weiß, wo alles liegt. Für den Fall der Fälle.
Sigrídur ist von diesem Zustand nicht überrascht.
»Gunnhildur hatte nie Lust, ihr Zimmer aufzuräumen«, sagt sie und stöhnt. »Wie ich sehe, hat sich das nicht geändert.«
Ich setze mich aufs Bett.
»Könnte sie bei einem Verwandten sein?«
Sigrídur betrachte mit Missfallen das Durcheinander. Und schüttelt den Kopf.
»Und bei ihrem Vater?«
»Sie kennt ihn nicht.«
»Ach so.«
Sie guckt mich eine Weile an. Nachdenklich. Als wäre sie sich immer noch nicht sicher, ob man mir Familiengeheimnisse anvertrauen könnte.
»Ich habe ihr nie von ihm erzählt«, sagt sie nach einer Pause.
»Warum nicht?«
»Ich habe ihn bei dem jährlichen Bank-Feiertag-Festival auf den Westmännern getroffen, als ich fünfzehn war. Er hat mich vergewaltigt.«
»Du hast ihn doch hoffentlich angezeigt?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Nein, das hätte nichts gebracht. Er war der einzige Sohn eines Polizisten, den meine Eltern gut kannten. Sie hätten mir nie geglaubt.«
»Also hast du Gunnhildur allein großgezogen?«
»Meine Mutter hat mir geholfen, bis ich die Schule beendet hatte, aber dann bin ich mit dem Mädchen nach Reykjavík gezogen. Das war vielleicht ein Fehler.«
Ich stehe auf.
»Vielleicht versteckt sie sich bei einem ihrer Freunde«, sage ich. »Wir müssen Adressen oder Telefonnummern finden, die uns auf die richtige Fährte bringen können.«
Sigrídur durchsucht die Schränke im Wohnzimmer und in der Küche. Ich durchwühle den Kleiderschrank und die Kommode im Schlafzimmer. Alles ist voll mit Klamotten und Kosmetika.
Und Fotos.
Die meisten scheinen in Pubs gemacht worden zu sein. Und auf Privatpartys. Von der wilden, ausgeflippten Mannschaft, die ständig säuft und einen draufmacht.
Ich finde alle möglichen Bilder. Freizügige. Lustige. Alberne.
Ich sehe die Fotostapel schnell durch. Bis ich ein Bild von Árni Geir und Grímur Rögnvaldsson entdecke, auf dem sie sich mit einem jungen dunkelhaarigen Mädchen angeregt unterhalten.
Soleen.
Grímur hat sie also auch getroffen. Zu Hause bei Árni Geir.
Ich ahne das Schlimmste.
Ich setze mich auf das Bett, schiebe die Decke zur Seite und lege die Fotos von der Party nebeneinander auf das rosafarbene Laken.
Soleen ist auf den meisten zu sehen. Wie sie zuhört. Und redet. Oft mit einem Lächeln auf den Lippen.
Sie scheint sich gut zu unterhalten.
Die beiden letzten Fotos wecken besonders mein Interesse. Man sieht, wie drei Männer mit Soleen anstoßen. Árni Geir. Grímur. Und Ásleifur.
Ásleifur hat Soleen also auch getroffen. Ohne das bei den Ermittlungen ein einziges Mal zu erwähnen.
Der Goldjunge beglotzt das kurdische Mädchen. Begeisterung strahlt aus seinen Augen und aus seinem Gesicht.
Begeisterung und Lust.
»Ich finde
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