Mord in Thingvellir
drücken sie eindeutig unter Wasser.
»Hier versuchen unsere Helden, ihr Opfer zu ertränken«, sage ich. »Wie es ihnen schließlich gelang, das Mädchen umzubringen, seht ihr hier.«
Das letzte Foto des Filmes aus dem Osten füllt die Leinwand aus.
Der Kerl, der vorhin Marie vergewaltigt hat, hat beide Hände fest um den Hals des französischen Mädchens gelegt. Ihre Augen sind weit aufgerissen. Ihr Mund auch.
Sie scheint an der Schwelle zum Tod zu stehen.
Alle im Saal können die grimmige Miene des Mörders erkennen:
Grímur Rögnvaldsson.
51
Ich marschiere auf dem graugestrichenen Betonfußboden in einer der kleinsten Gefängniszellen der Schwarzjacken in Reykjavík auf und ab. Warte mit wachsender Ungeduld da rauf, dass sich die Amtsschimmel blicken lassen.
Der Tumult im Anschluss an die Diavorführung war atemberaubend. Allerdings hatte ich damit auch gerechnet. Schließlich wird der Justizminister des Landes nicht jeden Tag öffentlich eines Mordes bezichtigt.
Grímurs Gesicht verfärbte sich dunkelrot vor Erregung. Es sah so aus, als würde er gleich an Ort und Stelle einen Herzinfarkt bekommen, weil er außer sich war vor Zorn.
»Das sind verbrecherische Fälschungen der gröbsten Art!«, schrie er und sprang wie ein überdimensionales Känguruh über die Bühne zu mir neben die weiße Leinwand. »Weg mit diesen Abscheulichkeiten!«
Die beiden Sekretäre kamen auf uns zugerannt. Der eine riss die Stromverbindung des Projektors auseinander. Der andere schnappte sich den Laptop, holte die CD mit den vier Fotos heraus und steckte sie in die Tasche seines dunkelblauen Jacketts.
Der Minister packte mich fest am rechten Arm, schob sich dicht an mich heran und rief laut:
»Mit diesen Lügen und Rufmord kommst du nicht durch!«
Der Knabe schnaubte mir bei jedem Wort ins Gesicht.
»Lass mich los!«, sage ich beherrscht. Mir war schon halb übel von dem intensiven Aftershave.
Die Geräuschkulisse im Saal wurde lauter. Viele Anwesende waren aufgestanden, um besser sehen zu können, was auf der Bühne vor sich ging. Die Pressefotografen drängten sich in unsere Nähe und knipsten, was das Zeug hielt.
»Wo ist die Polizei?«, rief Grímur, ohne mich loszulassen.
»Vielleicht möchtest du mich auch erwürgen?«, fragte ich.
Der Minister hatte die Frage schlecht aufgenommen. Schubste mich unerwartet und mit einem schnellen Ruck rückwärts von der Bühne. Direkt in die Arme einer der Schwarzjacken, die sich unterhalb des Podiums aufgereiht hatten.
»Nehmt diese Hexe fest!«, rief der Minister im Befehlston.
»Weshalb?«, fragte der verantwortliche Einsatzleiter.
»Mit ihren Fälschungen greift sie nicht nur mich persönlich an, sondern untergräbt auch die Sicherheit des isländischen Staates.«
»Ich war in vollem Recht, den Anwesenden in diesem Saal Bilder eines Verbrechens zu zeigen«, antwortete ich und schaute den Einsatzleiter an. »Einer der Kriminellen steht da direkt vor dir. Den solltest du lieber ins Gefängnis bringen.«
»Ich bin der Justizminister von Island und verlange, dass dieses Terroristenweib auf der Stelle festgenommen wird!«, ereiferte sich Grímur. »Nehmt sie fest!«
Die Schwarzjacken besprachen die Lage. Zückten ihre Handys und telefonierten mit ihren Vorgesetzten. Und baten mich schließlich, ihnen aus freien Stücken auf die Polizeiwache zu folgen, um eine Erklärung zu den Fotos und meinen Vorwürfen abzugeben.
Genau das, was ich tun wollte.
Aber als wir dort ankamen, wurde ich in eine Gefängniszelle gewiesen. Und mir wurde aufgetragen zu warten, bis es möglich sei, ein Protokoll aufzunehmen.
»Ich habe mich bereit erklärt hierherzukommen, um eine Aussage zu machen«, sagte ich. »Nicht, um in eine Zelle gesperrt zu werden.«
»Es wird nicht lange dauern«, antwortete der Einsatzleiter.
»Mit welcher Begründung nimmst du mich fest?«
»Du bist nicht festgenommen.«
»Und warum soll ich dann in eine Zelle?«
Er gab keine Antwort. Aber schloss die Tür ab.
Das war vor über einer Stunde.
Ich habe in der ganzen Zeit nichts anderes zu tun gehabt, als in der Zelle auf und ab zu gehen. Und mir zu überlegen, wie ich am besten eine Schadensersatzklage gegen die Schwarzjacken anstrengen könnte. Wegen ungesetzlicher Freiheitsberaubung.
Endlich kommt der Einsatzleiter zurück.
»Ich bin seit über einer Stunde meiner Freiheit beraubt«, sage ich. »Das wird euch schneller ein paar Mille kosten, als ihr gucken könnt.«
»Jetzt sind endlich alle da«, sagt er.
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