Mord in Thingvellir
schützen.«
Sindri senkt den Blick. Wartet schweigend darauf, dass ich eine Entscheidung treffe.
Die Fotos sind explosiv. Der Beweis für ein Verbrechen, von dem niemand wusste, dass es begangen wurde. Außer den Verbrechern. Und dem Fotografen.
Ein perfektes Verbrechen. Schon seit über zehn Jahren.
Und für alle Ewigkeit, wenn diese Fotos verloren gegangen wären.
Sie dürfen nicht verschwinden. Dafür muss ich als Allererstes sorgen.
Aber wie?
Ich tigere in meinem Büro auf und ab, durchdenke alle Möglichkeiten, die sich momentan bieten. Und komme zu einem Ergebnis.
Öffne die oberste Schreibtischschublade. Reiche Sindri einen Stapel mit CD-Rohlingen.
»Du musst alle Fotos auf drei andere CDs brennen.«
Er setzt sich vor den Computer, um die Fotos zu speichern.
Ich nehme die CDs entgegen, stecke sie in durchsichtige Plastikhüllen und lege sie in meine rotbraune Aktentasche. Samt dem Umschlag mit den Negativen.
»Was willst du mit den Kopien machen?«, fragt er.
»Sie an einem sicheren Ort unterbringen«, antworte ich und greife nach meinen Autoschlüsseln.
Eine halbe Stunde später habe ich je eine CD in einem meiner Bankschließfächer untergebracht. Bei jeweils einer Filiale jeder großen Bank in der Innenstadt. Und in einem liegen auch die Filme.
Verfolgungswahn höchsten Grades?
Vermutlich.
Aber das Beweismaterial ist zumindest vorerst sicher untergebracht.
Ich fahre wieder nach Hause in mein Büro. Um weiter an meiner Rede zu arbeiten, die ich heute Abend vor der Bürgerversammlung halten soll.
Die Rede?
Mitten in meinen Vorbereitungen kommt mir eine verrückte Idee. Sie ist so wahnsinnig verwegen, dass sogar ich erst mal platt bin. Aber nur für einen Moment.
Obwohl das Vorgehen verteufelt dreist ist, wirkt es unter Garantie. Fast so wie schachmatt live im Fernsehen.
Ich fahre fort, Stichworte für die Rede des Abends zu sammeln. Aufgeregt, gespannt. Und bange.
Durchdenke meine Idee noch einmal. Und beschließe, es darauf ankommen zu lassen.
Wer wagt, gewinnt.
Gegen fünf rufe ich Máki an, während das heiße Wasser in die Badewanne läuft.
Bitte ihn, mich im Hotel Saga kurz vor der Versammlung zu treffen. Wenn er Interesse daran hat, einen echten Knaller für seine Zeitung zu ergattern.
Normalerweise gelingt es mir, mich in dem heißen Wasser richtig auszuruhen. Aber jetzt nicht.
Der Gedanke daran, was ich heute Abend vorhabe, macht alle meine Versuche zunichte, mich zu entspannen.
Ich bringe mein Gesicht vor dem großen Spiegel im Schlafzimmer auf Vordermann. Und tupfe mir einen kleinen Tropfen wunderbares Parfum hinter die Ohren. Auf den Hals. Und zwischen die Brüste.
Pure Poison. Von Dior.
Ziehe mein weißes Lederkostüm und die weißen Hexenstiefel an. Das gleiche Outfit, das ich im Osten auf der Beerdigung getragen habe.
Denn das wird auch eine Art Beerdigung sein.
Máki wartet auf mich in der Vorhalle zum Säulensaal im Hotel Saga. Wo die Politikusse schon seit Jahrzehnten öffentlich zu gesellschaftlichen Problemen tagen.
»Komm mal mit!«, sage ich. Und ziehe ihn auf die Seite. Bis in den Flur vor die Toiletten. Und übergebe ihm da eine CD mit dem letzten Foto von Thórdís’ Film.
»Steck das schnell weg«, sage ich leise.
»Ist das dein Vortrag?«, fragt er enttäuscht. Als ob er mit etwas ganz anderem gerechnet hätte.
Ich schüttele den Kopf.
»Aber du darfst die CD erst angucken, wenn ich meine Rede beendet habe.«
»Warum?«
»Versprichst du’s?«
»Ja, ja, aber was ist das Geheimnis?«
Ich beuge mich ganz nahe an ihn heran.
»Du hast die Bombe des Jahres in den Fingern«, flüstere ich ihm ins Ohr.
Er steckt die CD schnell in die Innentasche seiner abgewetzten Lederjacke.
» Okay, babe « , sagt er breit grinsend, » let’s rock! «
50
Der Saal füllt sich.
Der Vertreter der Opposition, der an der Bürgerversammlung teilnimmt, steht oben in der Mitte der Bühne, wo vier lederbezogene Stühle hinter einem langen Tisch mit grüner Decke aufgestellt wurden. Neben einem prunkvollen Rednerpult hängt eine große weiße Leinwand für den Projektor.
Geirlákur ist ein hartgesottener Fuchs in der Politik. Eher klein als dick. Immer an der Grenze zum wirklichen Fett sein.
Er grüßt mich mit einem politisch künstlichen Lächeln auf den Lippen.
»Wirklich schön zu sehen, dass die Leute sich so für die Sache interessieren«, sagt er und lässt den Blick über den dicht besetzten Saal schweifen.
»Je mehr, desto besser«, antworte ich. Und
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