Mord in Thingvellir
lege meine Aktentasche auf einem der Stühle ab.
Der Minister trifft um Punkt halb neun ein. Genau zu Beginn der Versammlung. Stürmt, flankiert von zwei jungen Sekretären, in den Saal.
»Sollen wir nicht sofort anfangen?«, fragt er die Moderatorin. Ein zwanzigjähriges, dunkelblondes Mädchen aus der juristischen Fakultät der Universität Islands.
»Es ist alles bereit«, antwortet sie. »Nehmt doch Platz.«
Der Minister ist im Programm als erster Redner aufgeführt.
Er ist wie bisher nicht zimperlich, all die großen Worte zu benutzen: Freiheit. Demokratie. Selbstständigkeit. Frauenrechte. Menschenrechte. Und kritisiert scharf die Unterdrückung von Frauen in gewissen Teilen der Welt, aber auch besonders in islamistischen Staaten. Diese Unterdrückung stehe im völligen Gegensatz zum Kampf der Frauen in Island seit der Landnahme. Die isländische Gesellschaft dürfe sich nie mit der körperlichen oder seelischen Gewalt abfinden, der Frauen unter dem Deckmäntelchen der Glaubensrichtungen oder Kulturen ausgesetzt seien, wie es in manchen anderen Ländern der Fall sei, wo sogar Ehrenmorde als kulturelle Besonderheiten entschuldigt werden. Sie seien in Wirklichkeit grausame Morde.
»Frauen sollen die volle Selbstbestimmung in Hinblick auf Selbstständigkeit, Bildung, Karriere und Partnerwahl haben, und ich als Justizminister werde sehr großen Wert darauf legen, allen ausländischen Frauen, die hierherkommen, diese Unabhängigkeit zu sichern. Ich habe es schon einmal gesagt und wiederhole es nochmals, dass die Aufgabe von Polizei und Gerichten darin besteht, bei denjenigen mit voller Härte durchzugreifen, die Frauen Gewalt antun oder ihre Freiheit einschränken, welchen Grund es auch dafür geben mag«, sagt er am Ende seiner Rede. Und erntet lang anhaltenden Applaus als Lohn.
Verdammter Heuchler!
Ich stehe auf. Schiebe die CD in den Laptop, der mit dem Projektor verbunden ist. Werfe eine Gliederung mit Stichworten zum Thema »Rechtliche Stellung ausländischer Mitbewohner und Immigranten« auf die weiße Leinwand.
Zum Ende meines Beitrags atme ich einmal tief durch, werfe einen beklommenen Blick über den Saal.
»Das Schlimmste von allem ist, das Richtige zu tun.«
Sagt Mama.
Ich werfe die letzten Zweifel über Bord. Und lege los.
»Der Justizminister hat hier eben mit anderen Worten gesagt, dass er sich kraft seines Amtes dafür einsetzen werde, dass die Obrigkeit gegen jede Art von Gewalt gegenüber Frauen hart durchgreift. Ich finde es daher richtig, ihm hier und jetzt die Gelegenheit zu geben, sich in einem solchen Fall entschieden einzusetzen, wo einer jungen Frau auf niederträchtige Weise Gewalt angetan wurde, ohne dass bisher jemand dafür zur Rechenschaft gezogen wurde.«
Ich werfe das erste Bild auf die Leinwand. Das erste von vier Bildern, die ich von Thórdís’ Negativen gewählt habe.
Das Bild ist grobkörnig und stark vergrößert. Und wurde spätabends aufgenommen.
Die Umgebung ist gespenstisch. Wie früher, als ich im Herbst im Mondschein allein einen Abendspaziergang am Fluss gemacht habe.
Der Mond wirft ein fahles Licht auf den aufgewühlten Pfuhl, die dunklen Felsen an beiden Seiten und das grasbewachsene Flussufer.
Im Vordergrund sieht man drei Personen. Zwei Männer. Und eine Frau.
Marie Fauré.
Sie liegt auf dem Rücken im Gras. Kaum bekleidet. Hilflos.
Den einen Mann sieht man nur von hinten. Er liegt auf Marie. Spreizt ihre Oberschenkel mit seinen Knien. Hält ihr mit der linken Hand den Mund zu.
Sein Kumpel drückt beide Arme von Marie über ihrem Kopf ins Gras. Ihn erkennt man deutlich auf dem Foto:
Eddi Event-Ratte.
Ein verwundertes Murmeln geht durch den Saal.
»Das ist ein Foto von zwei isländischen Männern, die ein junges französisches Mädchen vergewaltigen«, sage ich. Und werfe das nächste Bild auf die Leinwand.
Eddi Event-Ratte und sein Kumpel sind aufgestanden. Sie halten Marie zwischen sich fest. Und scheinen sie ins Wasser werfen zu wollen.
»Auf diesem Bild haben beide Männer das Mädchen vergewaltigt und sind dabei, es in einen tiefen Pfuhl zu werfen, der sich genau an dieser Stelle des Flussufers befindet.«
Der Justizminister springt von seinem Stuhl auf.
»Was ist das denn für ein Horrorszenario?«, ruft er. »Stoppt diese Abscheulichkeiten!«
Seine Sekretäre stehen auf und stürmen schnellen Schrittes auf die Bühne zu.
Ich beeile mich, das dritte Foto zu zeigen.
Alle drei sind jetzt im Pfuhl. Beide Kerle halten Marie fest. Sie
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