Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
zwangsversetzt.
Aber der ehrgeizige Wissenschaftler ließ sich nicht mit der Prosektorstelle in einem Provinzspital abspeisen und ging in Berufung, als ihn die Untersuchungskommission des Innenministeriums als „belastet“ einstufte. Im weiteren Verlauf drückten die Behörden wie in vielen anderen, ähnlich gelagerten Fällen beide Augen zu: Man glaubte Breiteneckers fadenscheiniger Ausrede, er habe sich nur aus Gründen der Existenzsicherung dem Druck der ehemaligen Machthaber gebeugt, schließlich habe er fünf Kinder zu ernähren. So hatte der Gerichtsmediziner sich bereits 1949 erfolgreich seiner NS-Vergangenheit entledigt.
Beim Bestreben, seine Lehrberechtigung an der Universität Wien wiederzuerlangen, eskalierte nun Breiteneckers Konflikt mit Ordinarius Prof. Walther Schwarzacher, der vor dem „Anschluss“ das Grazer Institut geleitet hatte, 1938 wegen seiner politischen Einstellung entlassen worden war und die Kriegsjahre als Privatmann in Salzburg verbracht hatte. Während andere Fachkollegen bereitwillig „Persilscheine“ ausstellten, war Schwarzacher einer der wenigen, die der reibungslosen Rückkehr ehemaliger Nazis Widerstand entgegensetzten. So wollte er beispielsweise Breitenecker nicht den Institutshörsaal für seinen Probevortrag überlassen.
In dieser Kontroverse zweier grundverschiedener Männer war Schwarzachers Schnitzer im Mordfall Mandler freilich Wasser auf Breiteneckers Mühlen. Über einen zweiten Begutachter bekam er seine Lehrberechtigung zurück, hielt Vorlesungen am Kriminologischen Institut der Juridischen Fakultät und avancierte 1957 zum Sektionschef im Sozialministerium. Als Prof. Schwarzacher 1958 an den Folgen eines Unfalls starb, war für Breitenecker der Weg zum Ziel seiner Wünsche geebnet: seine Bestellung zum Vorstand der Wiener Gerichtsmedizin.
In Breiteneckers Ära, die bis zu seiner Pensionierung 1973 andauerte, konnte das Institut wieder an die einstigen glanzvollen Zeiten anknüpfen. Die erforderlichen Geldmittel für Um- und Ausbau sowie für Personalaufstockung wurden bewilligt, Breitenecker und seine Mitarbeiter wurden in internationale Gremien berufen und konnten auch im Ausland begangene Verbrechen klären. In typisch österreichischer Manier ließen auch die entsprechenden Auszeichnungen nicht auf sich warten: 1973 erhielt Breitenecker das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik, wobei man in der Begründung die Jahre von 1938 bis 1945 peinlichst aussparte.
Seine wahre Gesinnung aber konnte der strebsame, stets pekuniär interessierte Wissenschaftler nie ganz verhehlen. In einem 1967 in Deutschland geführten Prozess etwa meinte Leopold Breitenecker in seinem Sachverständigengutachten, das Euthanasie-Ärzte entlastete, die Tausende Geisteskranke mit Kohlenstoffmonoxid vergast hatten: Dies sei „eine der humansten Tötungsarten überhaupt“.
Die Frau mit dem Fleischwolf
Nicht nur das Wien der Dreißigerjahre hatte in Martha Marek eine Mörderin mit Engelsgesicht (siehe Seite 61), dieses platte Attribut verpasste man einer jungen Frau auch in den Fünfzigerjahren. Entgegen dem Stereotyp griff diese Mörderin nicht zu Gift, sondern zum Fleischwolf, der in Wien „Faschiermaschine“ heißt, um mit 40 wuchtigen Hieben den Schädel eines gehassten Mannes zu Brei zu schlagen. Hinterher schlitzte sie ihm „zur Sicherheit“ auch noch mit einem Wurstmesser die Kehle auf. Wegen des barbarischen Bildes, das sich den Ermittlern am Ort des Verbrechens bot, suchte die Polizei anfangs nach einem männlichen Täter – fälschlicherweise, wie sich bald herausstellte. Hier die Geschehnisse im Einzelnen:
Dem Revierinspektor, der am 22. November 1952 kurz nach Mitternacht durch die Alser Straße patrouilliert, kommt der nicht ganz geschlossene Rollbalken des Delikatessengeschäftes im Haus Nummer 7 verdächtig vor. Darauf gefasst, einen Einbrecher auf frischer Tat zu ertappen, schiebt der Wachmann den Rollladen hoch und tritt ein. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe schweift durch den dunklen Verkaufsraum, tastet sich weiter in ein ebenfalls finsteres Hinterzimmer und stößt dort auf eine große Blutlache, in der ein Toter mit zertrümmertem Schädel und durchtrennter Kehle liegt.
Es ist der Geschäftsinhaber, der 44-jährige Johann Arthold, eine besser unter dem Spitznamen „Cadbury-König“ bekannte Lokalgröße. Mit der englischen Schokoladen-Marke hat der Gemischtwarenhändler sich nach Kriegsende goldene Nasen verdient, indem er die begehrte
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