Mord ist der Liebe Tod
Zeit beschäftigt. Krankengymnastik, Massagen und Gesprächstherapien hatten den größten Teil ihres Tages ausgefüllt. Die Besuchszeiten waren zum Glück kurz und streng reglementiert und sie hatte sich bis heute geweigert, ihre Kollegen zu sehen. Sie schämte sich zu sehr.
Was sollte sie den ganzen Tag zu Hause machen? Würde sie ihren Dienst wieder antreten können? Ihre Therapeutin hatte ihr geraten, sich Zeit zu lassen, doch Zeit, freie Zeit, hieß Grübeln und Selbstvorwürfe.
Sie liebte ihren Beruf ! Doch was, wenn sie sich wieder so täuschen ließ wie letztes Mal?
Langsam stand sie auf und humpelte auf ihre Gehhilfe gestützt ins Zimmer zurück.
Auf einem Tisch neben dem Bett standen Blumen und Genesungskarten. Fast alle von Kollegen aus dem Präsidium und guten Bekannten. Enge Freunde hatte sie keine mehr, seit ihre ehemals beste Freundin Wilma sie mit Jennys damaligem Freund Mario betrogen hatte. Und jetzt das! Wie sollte sie jemals wieder jemandem vertrauen?
Auf ihrem Bett lag die aufgeschlagene Zeitung von heute. Zum Glück waren die Schlagzeilen vom „Sagenmörde r“ selten geworden. Paul würde voraussichtlich in einigen Wochen nach Deutschland ausgeliefert werden und im Untersuchungsgefängnis Darmstadt-Weiterstadt auf seinen Prozess warten. Bei der Durchsuchung seines Hauses auf dem Lerchesberg hatte man noch mehr Beweise gegen ihn gefunden. Im Garten konnte noch die Stelle ausgemacht werden, wo der Kopf seiner Frau jahrelang unentdeckt vergraben war. Jenny wurde übel bei dem Gedanken, wie oft sie dagestanden und das Gemüsebeet betrachtet hatte, das als Grab diente. Und die Tomaten, die dort besonders prächtig gediehen, hatte sie sogar gegessen.
Zumindest würden die Beweise ausreichen, um ihn lebenslang hinter Gitter zu bringen , ohne Chance auf vorzeitige Entlassung. Hoffentlich fand sich nicht ein gewissenloser Gutachter, der ihm verminderte Schuldfähigkeit bescheinigte. Natürlich war er geisteskrank, aber sie war sich sicher, dass er vollständig in der Lage war, zu begreifen, was er getan hatte.
Am nächsten Morgen frühstückte Jenny zeitig und packte ihre Sachen. Um neun hatte sie noch eine abschließende Untersuchung beim Stationsarzt. Er war sehr zufrieden mit ihren Fortschritten und verordnete weitere Krankengymnastik. Schmerzmittel sollte sie nur noch bei Bedarf nehmen.
„ Und lassen S ie es langsam angehen. Arbeiten ist noch nicht. Erst, wenn Sie völlig wiederhergestellt sind. Haben Sie jemanden, der Ihnen zu Hause zur Hand geht?“
„ Ja natürlich“, log Jenny und lächelte ihn freundlich an, „da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.“
Er nickte beruhigt und wünschte ihr alles Gute.
Schwieriger war das Entlassungsgespräch mit der Psychologin der Klinik.
„ Ich kann mich doch darauf verlassen, dass Sie die Kollegin aufsuchen, die ich Ihnen empfohlen habe?“
„ Ja, sicher“, murmelte Jenny und schaute zur Seite.
„ Frau Becker, ich meine das sehr ernst. Sie haben viel durchgemacht. Mehr als manch einer verkraften kann. Davon erholt man sich nicht alleine. Sie brauchen professionelle Hilfe. Sie wollen doch irgendwann w ieder ein normales Leben führen? Ich werde bei meiner Kollegin nachfragen, ob Sie zu ihr gehen.“
Jenny nickte ergeben und verabschiedete sich kurz.
Endlich frei, schoss ihr kurz durch den Kopf. Wobei, eingesperrt ha tte sie sich hier eigentlich gar nicht gefühlt, eher sicher. Und nun? Sie humpelte zur Anmeldung und zog ihren Koffer hinter sich her.
„ Entschuldigen S ie, ich wurde gerade entlassen, können Sie mir bitte ein Taxi rufen?“ Irgendwo hatte sie zwar ihr Handy, aber das war seit Wochen nicht eingeschaltet und wo das Ladegerät war, hm, das musste irgendwo sein.
„ Jenny, entschuldige, ich bin zu spät.“
Erschrocken drehte sie sich um. Ihr Kollege von der Mordkommission, Logo Stein, stand hinter ihr. „Was machst du denn hier?“
„ Dich abholen. I ch hab mich erkundigt, wann du entlassen wirst. Irgendwie hab ich vermutet, dass du niemandem Bescheid sagen würdest.“
Früher wäre Jenny bei diesem unterschwel ligen Vorwurf errötet, doch jetzt ließ sie alles seltsam unberührt. „Ich wollte mir eben ein Taxi bestellen.“
„ Ich möc hte dich aber heimfahren. Bitte! Die ganzen Wochen hast du mich, vielmehr uns alle, ferngehalten. Ich will mich ja nicht aufdrängen, aber ich glaube, es ist besser, wenn ich dich fahre und schaue, dass du alles hast. Dann verschwinde ich wieder, okay?“
Jenny zögerte.
Weitere Kostenlose Bücher