Mord ist schlecht fürs Geschäft
Tatsache, dass es verbotene Zonen gab, machte sie neugierig.
Sobald sie an der frischen Luft war, schwitzte sie nicht mehr. Stufen führten von dem erhöhten Bereich beim Wintergarten hinunter. Rote und orangefarbene Kapuzinerkresse rankte aus bröckeligen Steinurnen. Rundum verlief eine Balustrade aus moosbedecktem Stein.
Überaus gepflegte Rasenflächen von gigantischen Ausmaßen und eleganten Proportionen erstreckten sich in weiten Bögen zwischen den Blumenbeeten und Bäumen, wie ein Fluss auf seinem Weg zum Meer. Aber im Gegensatz zu einem Fluss endeten diese Rasenflächen bei einer roten Ziegelmauer. Der Mörtel zwischen den Steinen war weiß, die Ziegelsteine unregelmäßig geformt, ein Zeichen ihres Alters und der Verwitterung. Ein Torbogen mit einer Holztür, wie man sie in Kirchen und mittelalterlichen Burgen fand, führte durch die Mauer, ehe diese hinter einem Goldregen verschwand. Sie war zwar keine Gärtnerin, erinnerte sich aber vage daran, dass Goldregen giftig war. Sie nahm sich vor, das nachzusehen, Gott weiß, warum. Es war ja niemand vergiftet worden.
Die Tür hätte sie nicht so magisch angezogen, wenn Charlborough ihr nicht befohlen –
ja, befohlen!
– hätte, innerhalb des Gartens zu bleiben. Doch nun war das anders. Ein Eisenring wartete nur darauf, dass man ihn berührte.
Wahrscheinlich war die Tür abgeschlossen, aber versuchen |229| konnte man es doch einmal. Sie ging auf. Da waren wieder die riesigen Gewächshäuser, bis obenhin vollgestopft mit Grünzeug, noch üppiger als die wuchernden Pflanzen, die den Wintergarten füllten. Und die Gewächshäuser, wie groß waren die … wie ein Fußballfeld? Mindestens. Sie waren gigantisch!
Ihr Dach schwang sich wie bei einem von den im Krieg errichteten Unterständen, die inzwischen unter der Last der Jahre und den Angriffen des Wetters beinahe zusammenbrachen. Der Eingang war mit einem Wall aus Sandsäcken geschützt, von denen man etwa ein Dutzend übereinander aufgeschichtet hatte. In einen Sandhaufen neben einer Obstkiste – wie man sie für Orangen benutzt – hatte jemand eine Schaufel gerammt.
Genau wie beim letzten Mal war niemand zu sehen. Sie fragte sich, wann eigentlich diese Kriegsspiele veranstaltet wurden, bei denen Leute etwas dafür bezahlten, hier kämpfen zu dürfen.
Man hörte nur Vögel und Bienen. Genau wie sie es gehofft hatte, lagen ein paar Säcke neben dem Sandhaufen auf dem Boden.
Säcke!
Die
Säcke?
Sie schnappte sich einen und schüttelte den Sand heraus.
Sie hielt ihn mit beiden Händen vor sich. Er sah zu groß aus. Nur um sicher zu sein, schnupperte sie daran. Er roch nach neuem Sackleinen.
Gerade als sie daran dachte, wieder zurückzugehen, öffnete sich die Tür des Gewächshauses mit einem zischenden Geräusch. Feuchtwarme Luft strömte heraus und verpestete die Frische des Tages nach dem Regenguss.
Dass jemand mit der feuchtwarmen Luft aus dem Gewächshaus gekommen sein musste, begriff sie nicht so schnell, wie nötig gewesen wäre. Die Sandsäcke verbargen ihn vor ihren Blicken, bis sie einander gegenüberstanden, beide auf dem falschen Fuß erwischt, beide unsicher, wie sie sich verhalten sollten.
|230| »Sie.« Der gleiche Mann wie beim letzten Mal. Der Mann, den Sir Andrew Trevor genannt hatte. So was wie ein Butler. So was wie ein Alptraum.
Sie versuchte es mit Dreistigkeit. »Ja, es ist mir im Wintergarten ein wenig zu warm geworden. Sir Andrew meinte, ich könnte draußen ein bisschen frische Luft schnappen.«
Er hatte ein kantiges Gesicht, seine Mundwinkel hingen nach unten, die Augen saßen tief in ihren Höhlen. Seine Schultern waren breit. Es war, als hätte man ihn aus Stein gehauen und als hätte der Steinmetz die feineren Einzelheiten des Körpers noch nicht gemeißelt. Seine Augenfarbe konnte man in den dunklen Höhlen unter den Brauen nicht ausmachen.
Zum Fürchten. Mehr noch als beim letzten Mal. Als wäre man in einer finsteren, schrecklichen Nacht Frankensteins Monster begegnet, nur dass es heller Tag war.
Sie spürte, dass sie zu ihrem Schutz jetzt als Erste eine Erklärung abgeben sollte. Sie hielt den Sack hinter dem Rücken, ließ ihn langsam zu Boden gleiten.
»Dann will ich mal wieder reingehen. Man hat mir eine Tasse Tee versprochen.«
Nicht ganz die Wahrheit, aber fast.
Der Mann, der vor ihr stand, verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. Entweder hatte sich seine Anspannung gelöst oder er würde sich im nächsten Moment auf sie stürzen. Vorsicht war die
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