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Mord mit kleinen Fehlern

Titel: Mord mit kleinen Fehlern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Scott
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der Dunkelheit an den Strand kommen würde. Sie lenkte das Mustang-Cabrio auf den rechten Fahrstreifen und lehnte sich gegen die Kopfstütze. Die Nachtluft blies kühl und glücklicherweise feuchtigkeitsfrei. Der Himmel verdunkelte sich zu einem tiefen Saphirrot, einzelne Sterne waren schon zu sehen, hoben sich wie Diamanten deutlich vom Himmel ab.
    An dem blauen Voyager-Minivan neben ihr waren auf einer Stange am Fond zwei Kinderfahrräder befestigt, deren Speichen mit rotem, weißem und blauem Krepppapier umwickelt waren. Im hinteren Teil des Vans befanden sich Lebensmitteltüten, gefaltete Decken und eine  Big-Bird-Puppe, deren Schnabel gegen das dunkle Seitenfenster drückte. Anne konnte die Familie im Wagen kaum erkennen, aber es gab Hinweise auf sie - Kinder, die auf den Sitzen hüpften, Mutter und Vater vorn.
    Anne wandte den Blick ab und schaltete, plötzlich ruhelos, das Radio, ein. Sie zappte die diversen Sender durch, aber es kam nichts außer Oldies, die älter waren als sie selbst, und Sportergebnissen, was sie an ihr Fitness-Training erinnerte. Sie schaltete das Radio wieder aus. Die Nacht brach stumm an, abgesehen von den Motorengeräuschen der dreitausend Minivans, die glückliche Familien an den Stand brachten und zweifelsohne allmählich die Luft für Frauen vergifteten, die sich weigerten, sich in ihren Mustang-Cabrios einsam zu fühlen. Anne öffnete eine Dose Diätcola aus dem Dosenhalter und prostete sich selbst zu.  »Auf das Kohlenmonoxid und auf mich«, sagte sie. Sie nahm einen Schluck warme, fade schmeckende Cola, dann kam ihr eine Idee:
    Sie hatte gewonnen, und es gab einen Menschen, dem sie das erzählen konnte. Sie fragte sich nicht erst lange, warum - ausnahmsweise nahm sie sich nicht die Zeit, sich bei der Selbstbeobachtung zu beobachten -, und sie machte sich auch keine mentale Notiz. Sie würde es einfach durchziehen. Tu es einfach!
    Anne stellte die Coladose ab und suchte in ihrer Umhängetasche nach dem Handy sowie dem kleinen, roten Adressbuch und öffnete es. Sie musste das Adressbuch ins Scheinwerferlicht des Wagens hinter ihr halten, um die Einträge lesen zu können. Mit dem Daumen blätterte sie bis M und fand die Telefonnummer. Es gab fünf ältere Nummern, alle durchgestrichen, und sie wusste nicht, ob die neueste Nummer noch aktuell war.
    Sie tippte die Vorwahl von Los Angeles ein, dann die Rufnummer. Dort wäre gerade Zeit fürs Abendessen. Die blechernen Klingeltöne setzten ein, einmal, zweimal, dreimal, mit einem schwachen Knacken. Anne wartete, dass jemand den Hörer abnahm, und trotz der Tatsache, dass sie gerade einen Schluck Cola getrunken hatte, war ihr Hals plötzlich trocken. Nach einem Augenblick hörte das Klingeln auf, und es meldete sich eine mechanische Stimme:
    »Die Nummer, die Sie gewählt haben, ist nicht länger in Kraft. Bitte prüfen Sie Ihre Unterlagen ...«
    Anne sank das Herz in die Hose, eine Reaktion, die sie hasste, und sie presste die Zähne aufeinander. Sie war fest entschlossen, kein Opfer zu sein, kein Weichei, keine völlige Versagerin. Also ließ sie die mechanische Stimme in endlosen Schleifen plappern und gab ihre Nachricht dennoch ab:
    »Hallo, wie geht es dir? Ich dachte, du würdest vielleicht wissen wollen, dass ich heute eine sehr wichtige Eingabe vor Gericht gewonnen habe. Ich habe mir die Eingabe selbst ausgedacht, und sie war ein wenig verrückt, aber es hat funktioniert. Abgesehen davon geht es mir gut, ehrlich, mach dir keine Sorgen um mich.« Sie schwieg kurz. »Ich liebe dich auch, Mom.«
    Dann beendete sie die Verbindung und klappte ihr  Handy zu.

3

    Möwen kreischten über einer schmierigen, braunen Tüte in einem Mülleimer, und getupfte Tauben, deren geschuppte, rosarote Beinchen sich mechanisch wie die von Aufziehspielzeugen bewegten, trippelten über die verwitterten Planken. Der Samstagmorgen war klar, heiß und sonnig über der Küste von Jersey heraufgedämmert, und Anne hatte gemerkt, dass der Atlantik genauso aussah wie der Pazifik: groß, feucht, blau und ständig in Bewegung. Ihre Vorstellung von natürlicher Schönheit blieb auch weiterhin das King-of-Prussia-Einkaufszentrum.
    Anne beendete ihre morgendliche Joggingrunde, auf der sie jeden einzelnen Schritt der fünf Kilometer über die windige Strandpromenade gehasst hatte. Neun Minuten pro Kilometer: Okay, das war nicht gerade schnell, aber Anne schwitzte ganz schön in ihrem großen T-Shirt und den Radlerhosen. Sie keuchte schon, aber das lag daran,

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