Mord mit kleinen Fehlern
Familiengericht. Es wimmelte nur so vor kolonialen Stadthäusern mit neu verfugten Ziegelfassaden und frisch gestrichenen Fensterläden. Auch Bennie Rosato besaß ein Haus in dieser Gegend. Fairmount war ein ruhiges, sicheres Viertel, mehr hatte Anne nicht verlangt, als sie nach Osten gezogen war. Sie kam ohne Parkplätze aus. Das Haus, das Anne gemietet hatte, war drei Stockwerke hoch, aber schlichtweg anorexisch; es war nur ein Zimmer breit, eine gemütliche Drei-Zimmer-Einheit, so nannten die Einheimischen ihre Häuser mit je einem Zimmer pro Stock. Anne trat hastig ein und ignorierte dabei die Rechnungen und Kataloge, die durch den Briefschlitz direkt auf den Teppichboden des winzigen Eingangsbereichs gefallen waren. Sie verschloss und verriegelte die Tür, ließ den Aktenkoffer und die Handtasche auf den Wohnzimmerboden fallen und rannte mit dem Sportbeutel in der Hand nach oben.
»Mel! Mel! Wir haben die Eingabe gewonnen! «, rief Anne dem Kater zu, was ihr wieder einmal zeigte, dass sie schon viel zu lange allein lebte. Sie stürmte in ihr Schlaf- zimmer und ließ den Sportbeutel auf den Boden fallen, was den dicklichen grauen Kater, der sich am Fuß des ungemachten Bettes eingerollt hatte, abrupt aufweckte. Mel legte die Ohren an, ganz Kampfkatze, bis ihm klar wurde, dass es nur sein Frauchen war, woraufhin er sich entspannte und mit seinen großen grünen Augen faul blinzelte. Anne ging zum Bett, nahm sein pelziges Gesicht in beide Hände und küsste seine rosa Nasenspitze.
»Wir haben gewonnen, mein Hübscher!«, wiederholte sie, aber Mel gähnte nur und entblößte seine spitzen weißen Zähne. Als er das Maul schloss, lugten die Spitzen noch heraus, und er verwandelte sich in ein
Halloween-Ungeheuer. Mel sah richtig Furcht erregend aus, und Anne fragte sich, ob er die Feiertage verwechselt hatte.
»Mel, die gute Nachricht ist, dass wir gewonnen haben. Die schlechte Nachricht ist, dass ich wegfahre, aber dir wird es gut gehen. Du wirst eine sehr nette Frau kennen lernen, die dich zeichnen will, verstanden?« Anne küsste ihn erneut, aber da er nicht schnurrte, sagte sie sich, dass er sich wohl Sorgen machte, mit einer völlig Fremden allein gelassen zu werden, die sich die Haare blau färbte. Mentale Notiz: Di e Mensche n projiziere n all e mögliche n Gefühl e auf ihr e Katzen , un d de n Katze n gefäll t das.
Anne küsste Mel ein letztes Mal, hastete zu ihrer unordentlichen Wäschekommode und zog Unterwäsche, zwei T-Shirts, einen Jeansrock und ihre neuen Shorts heraus. Sie nahm auch ihre schicken Pantöffelchen mit dem Leopardenmuster aus der untersten Schublade, weil sie ihr immer ein festliches Gefühl vermittelten, und schließlich hatte sie etwas zu feiern.
»Habe ich schon erwähnt, dass wir unsere Eingabe gewonnen haben, Mel? «, fragte Anne und stopfte die Sachen in ihren Sportbeutel. Sie würde in ihrem Feriendomizil duschen, darum holte sie aus dem Badezimmer nur schnell ihr Kiehl-Shampoo, den Conditioner und die Bodylotion mit Grapefruitduft sowie ihre Make-up-Utensilien in ihrer I-Love-Lucy-Dose. Sie konnte nicht ohne ihre Lucy-Dose oder die Grapefruit-Lotion aufbrechen. Das wäre ja, als würde man campen.
»Jetzt geht es los, Mel! «, sang sie, als sie wieder ins Schlafzimmer eilte, aber Mel war wieder eingeschlafen und wachte nicht einmal dann auf, als sie die Toilettenartikel in den Beutel stopfte und genau in dem Moment den Reißverschluss schloss, als es an der Tür klingelte. Das musste Willa sein. Anne schulterte den Beutel und nahm die schlafende Katze in den Arm, deren gestreifte Vorderbeine über ihre Unterarme baumelten. Er ließ es zu, dass sie ihn nach unten trug. Die geborene Limousinenkatze.
»Ich komme!«, rief Anne im Erdgeschoss und lugte durch den Spion, nur um sicher zu sein. Das geschah ganz automatisch, obwohl Kevin eine Trillion Meilen entfernt im Gefängnis saß. Sie fürchtete den Tag seiner Entlassung, aber es würde erst in zwei Jahren so weit sein. Auf der obersten Treppenstufe stand laut schnaufend Willa Hansen in ihren Sportsachen.
»Komm herein!« Anne entriegelte und öffnete die Tür, und Willa flötete, als sie Mel sah: »Ooooh, wie hübsch er ist!«
Und da wussten Anne und Mel, dass alles gut sein würde.
Autos, Minivans und Pickups ergossen sich so weit das Auge reichte über die drei Fahrspuren. Ihre Bremslichter bildeten eine gepunktete rote Linie. So viel zum Thema RANDOM, und Anne fand sich damit ab, dass sie erst nach Einbruch
Weitere Kostenlose Bücher