Mord mit Schnucke: Heidekrimi (German Edition)
Rausschmeißerin in einem Klub auf der Reeperbahn. Etwas in der Art.«
Luise tätschelte ihre Hand. »Das hat absolut nichts mit Feigheit zu tun, Schätzchen, sondern mit einer gesunden Portion Realismus in einer von Männern dominierten Welt.«
»Danke.« Ihr war danach, Luise zu umarmen, aber sie blieb lieber sitzen. Der Wacholderschnaps zeigte langsam Wirkung, und draußen tanzte schon wieder ein verflixt großer Schatten vorbei.
»Und was ist dann passiert?«
»Strafversetzung. Ehling hat mir immerhin noch die Wahl gelassen. Teufelsmoor oder Lüneburger Heide.«
»Und warum hast du dich für die Heide entschieden?«
»Das weiß ich selbst nicht so genau. Ich fand, Teufelsmoor klang irgendwie …«
»Teuflisch?«, half Luise aus.
»Genau. Die Lüneburger Heide schien mir das kleinere Übel zu sein.«
Luise wirkte verstimmt. Hanna sollte noch lernen, dass ihre Vermieterin nichts auf ihre Wahlheimat kommen ließ.
»Ich … äh … finde es sehr nett hier«, sagte sie schnell.
»Und ich glaube dir kein Wort.«
Hanna senkte den Blick. »Aber bestimmt werde ich mich schnell eingewöhnen.«
»Was weißt du über Hasellöhne?«
Hanna hob die Schultern. »Was ich so wissen muss. Ein ruhiges Dorf, die meisten Einwohner leben vom Tourismus. Ich werde wahrscheinlich nicht viel zu tun haben.«
»Wenn du dich da mal nicht täuschst«, bemerkte Luise. »Ganz so beschaulich, wie du es dir vorstellst, ist es hier nicht.«
Hanna hob die Augenbrauen. »Gibt es im Ort etwa auch S-Bahn-Surfer, Crack-Dealer und Aufmärsche von Neonazis?«
»Unsinn. Aber auch wir haben unsere Probleme. Außerdem bist du nicht nur für Hasellöhne, sondern auch für die umliegenden Orte zuständig. Und … na ja …«
»Was denn?«
Luise beugte sich vor. »Hier trauern alle noch dem Karl Överbeck nach. Es wird nicht leicht werden für dich. Eine junge hübsche Polizistin aus der Stadt hat niemand erwartet.«
»Kriminaloberkommissarin«, stellte Hanna richtig.
»Ungefähr das meine ich.«
Hanna verstand nicht.
»Man wird dich für arrogant halten, und das wird alles noch schwerer machen. Die Leute werden dich nicht mögen. Die Heidjer sind ein besonderes Völkchen. Man muss wissen, wie man mit ihnen umgeht.«
»Auf Zuneigung kann ich verzichten. Hauptsache, ich werde respektiert.«
Luise öffnete den Mund, dann schloss sie ihn wieder. Die junge und die alte Frau musterten einander über die Abgründe von Erfahrung und Lebensweisheit hinweg. Hanna hatte das Gefühl, dass sie einen stillen Kampf austrugen und sie selbst dabei den Kürzeren zog.
Blöder Schnaps, dachte sie.
»Ich gehe mal nach dem Hasen schauen«, sagte Luise nach einer Weile in die Stille hinein. »Oder möchtest du vorher deine Wohnung sehen?«
Hanna winkte ab. »Das hat Zeit.«
Sie fürchtete sich ein bisschen vor einem neuen, nach dem Geschmack einer alten Frau möblierten Zuhause. Ihre eigenen Möbel hatte sie in Hamburg eingelagert. Dann war sie strafversetzt worden, noch bevor sie sich in Stade häuslich eingerichtet hatte. Und nun? Die Möbel kommen lassen und sich in Hasellöhne eine feste Bleibe suchen? Oder hoffen, dass dieser Albtraum demnächst vorbeiging? Vielleicht wachte sie ja morgen früh in ihrer schönen Altbauwohnung in Altona auf, mit Hendrik an ihrer Seite, und die letzten zwei Monate waren auf der Festplatte ihres Lebens gelöscht.
»Kann ich bitte noch einen Wacholderschnaps haben?«, rief sie Luise hinterher, die schon auf dem Weg in die Küche war.
»Bediene dich, Schätzchen. Aber sei vorsichtig. Muss man vertragen können.«
»Ich bin ein Hamburger Kapitänskind«, murmelte Hanna. »Die können was ab.«
In Wahrheit war ihr Vater vierzig Jahre lang als einfacher Matrose zur See gefahren, aber das musste niemand wissen. Schon als sie in den Polizeidienst eingetreten war, hatte Hanna ihre Biografie geschönt, und sie würde auch jetzt, ganz allein in einer Hasellöhner guten Stube, nicht damit aufhören.
Ganz allein? Wirklich?
Da war er wieder, der große Schatten vor dem Fenster. Die Sonne war inzwischen fast untergegangen, und aus dem Schatten war eher ein diffuser Schemen geworden. Trotzdem.
Da war jemand.
Hanna beschloss zu handeln.
In aller Ruhe stand sie auf, streckte sich, tat, als interessierten sie die Fotos auf dem Bücherregal, die allesamt eine um Jahrzehnte jüngere Ausgabe von Luise Pleschke zeigten. Eine schöne Frau, dachte Hanna geistesabwesend und näherte sich ganz langsam der Tür. Dann sprang sie vor,
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