Mord mit Schnucke: Heidekrimi (German Edition)
Schreibtisch sah aus, als sei er in der Mitte durchgesägt worden, damit er hineinpasste. Ein Drehstuhl, ein schmales Bücherregal, das war auch schon die ganze Einrichtung. Es gab weder einen Computer noch ein Telefon.
»Hübsch«, murmelte sie und ging rückwärts wieder hinaus. Umdrehen wäre zu schwierig gewesen.
Allerdings musste sie zugeben, dass Westermanns Arbeitsplatz auch nicht wesentlich größer war als ihr eigener. Hinter dem Tresen gab es einen kaum größeren Schreibtisch, einen zusätzlichen Stuhl für Besucher und immerhin einen PC .
Toll, dachte Hanna, ich bin auf einer Spielzeugwache gelandet.
»Wo werden Verdächtige vernommen?«, fragte sie knapp.
Wieder nur eine Handbewegung von Westermann.
Wenn er schweigt, dachte sie amüsiert, brüllt er wenigstens nicht.
Sie schaute hinter der zweiten Tür nach, staunte und drehte sich wieder um. »Sie führen Vernehmungen in der Arrestzelle durch?«
»Ist ja sonst kein Platz.«
»Originell.« Hanna stellte sich vor, wie sie einen Heidschnuckendieb samt Beute in der ebenfalls winzigen Zelle verhören würde, und schwankte zwischen einem Lachanfall und hilflosem Kopfschütteln. Sie unterließ beides. Hätte nur eine neue Schmerzattacke ausgelöst.
Ihr Smartphone bimmelte.
»Wie langweilig«, bemerkte Westermann und beugte sich über sie. »Soll ich Ihnen mal einen knackigen Klingelton draufladen? Mach ich echt gern.«
»Unterstehen Sie sich«, brummte Hanna und suchte ein Weilchen das Gerät ab.
»Wohl neu das Teil, was? Hier müssen Sie drücken.«
»Danke, das weiß ich selbst.«
»Ein gewisser Hendrik verlangt nach Ihnen.«
»Klappe, Mann!«
Dann wandte sie sich von Westermann ab und verließ die Wache.
»Hendrik, ich kann jetzt nicht reden, ich bin im Dienst«, sagte sie, als sie draußen war.
Es war merkwürdig. Seit sie aus Hamburg weg war, also seit mehr als einem Monat, rief Hendrik sie bis zu fünfmal am Tag an. Solange sie noch zusammen gewesen waren, hatte er sich kaum mehr um Hanna gekümmert. Aber jetzt schien sie ihm auf einmal das Wichtigste auf der Welt zu sein.
Hanna seufzte und sah sich kurz um. Vorhin hatte sie sich nur mit gesenktem Kopf an den Häusern entlanggeschlichen. Die Wache lag direkt am Dorfplatz, der einen fast perfekten Kreis bildete. Die Hauptstraße, an der auch Luises Haus lag, mündete auf den Platz. Ein paar Nebenstraßen führten von ihm weg. In der Mitte gab es einen Dorfbrunnen, dessen Wasserbecken von mächtigen Findlingen eingerahmt wurde. Wahrscheinlich von irgendwelchen Hügelgräbern geklaut, überlegte Hanna.
Es gab einen Gasthof Erika, eine Apotheke, eine Bäckerei und einen Tante-Emma-Laden, wie ihn Hanna seit mindestens zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Die frühe Morgensonne legte ein freundliches Licht über Hasellöhne, und wäre Hannas Lage nicht so unglücklich gewesen, hätte sie diesen friedlichen Anblick eines Dorfes sogar ganz hübsch finden können.
Ein paar Kinder mit riesigen Ranzen auf den Rücken rannten über den Platz auf die Grundschule zu, die in einem zweistöckigen Ziegelbau untergebracht war. Sie waren zu spät dran, die Glocke hatte geläutet, als Hanna vorhin am Schulgebäude vorbeigegangen war.
Aber die Kinder lachten nur und veranstalteten auf dem letzten Stück Schulweg ein Wettrennen. Hanna fragte sich, wann sie das letzte Mal so unbeschwert gewesen war. Es wollte ihr nicht mehr einfallen.
Sie schrak zusammen, als Hendrik rief: »Bist du noch dran? Warum sagst du denn nichts?«
Ihr Kater meldete sich mit voller Kraft zurück. Warum, zum Teufel, mussten alle Männer an diesem Morgen brüllen?
»Ich hab gesagt, ich bin im Dienst.«
»Seit maximal zehn Minuten. So viel kann in deinem Heidekaff noch nicht passiert sein, dass du nicht ein paar Worte mit dem Mann wechseln kannst, der dich über alles liebt.«
Hanna stöhnte. Auch dass er sie liebte, behauptete Hendrik besonders häufig, seit sie ihn verlassen hatte. Sie sah ihn vor sich, Hendrik März, groß, nicht wirklich attraktiv, aber von imponierendem Auftreten, vierzig Jahre alt, keinen Tag jünger aussehend. Er war Juniorchef des vornehmen Herrenausstatters März am Ballindamm, seit drei Generationen in Familienbesitz. Von Anfang an hatte sich Hanna gefragt, warum dieser erfolgreiche Geschäftsmann mit Familienvilla im feinen Blankenese sich mit einer Polizistin aus Altona eingelassen hatte. Sie hatten sich kennengelernt, als er sich einmal ins Altonaer Bahnhofsviertel verirrt hatte und Hanna ihn aus
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