Mord mit Schnucke: Heidekrimi (German Edition)
besonderen Instinkt, so eine Art inneren Lügendetektor. Sie konnte spüren, wenn mit einem Menschen etwas nicht stimmte, und bei Doktor Johannsen war eindeutig etwas faul. Nur was? Sie würde es herausfinden müssen, und sie ahnte, er würde dann nicht mehr so freundlich und zuvorkommend sein.
Zehn Minuten später saß Hanna bei Luise in der kühlen guten Stube und trank ihr zweites Glas Mineralwasser.
»Jetzt erzählen Sie doch mal, was Sie hierher verschlagen hat«, bat Luise.
Sie gab sich keine Mühe, ihre Neugier zu verbergen. »Stimmt es, dass Sie strafversetzt worden sind? Was haben Sie denn angestellt?«
Hanna verschluckte sich an ihrem Wasser, hustete und verspürte auf einmal großes Heimweh. Nach Hamburg, nach ihren Kollegen und sogar nach Hendrik, den sie eigentlich nicht mehr liebte.
Luise plauderte unterdessen munter weiter. »Der arme Karl Överbeck wollte ja erst in fünf Jahren in Pension gehen. Da rafft ihn doch so ein dummer Herzinfarkt hin. Eine Schande ist so was. Er hatte noch viel vor im Leben, und wir haben ihn alle sehr geschätzt. Ein guter Polizist. Wenn es nötig war, konnte er auch mal alle fünfe gerade sein lassen.«
Na toll, dachte Hanna. Ein Dorfsheriff, der das Gesetz nach Lust und Laune ausgelegt hat. So ein Vorgänger ist genau das, was ich brauche.
»Es ist übrigens mitten in einem Einsatz passiert«, fuhr Luise fort. »Karl war einer Bande von Heidschnuckendieben auf der Spur. Da hat’s ihn erwischt, nachts allein auf der Heide. Ein paar Touristen haben ihn am nächsten Morgen gefunden. Ganz steif war er da schon. Der Jo konnte ihm auch nicht mehr helfen. Möchten Sie vielleicht ein Schnäpschen? Den mache ich selbst aus Wacholderbeeren, und es heißt, er kann Tote erwecken. Nur den Karl leider nicht.«
Heidschnuckendiebe? Tote erwecken? Sie hatte sich jetzt verhört, ja? Hanna beschloss, dass ein winzig kleiner Schnaps ganz hilfreich sein konnte, um das alles hier zu verkraften.
2
Vorsichtig nippte Hanna an ihrem Schnapsglas. Die helle Flüssigkeit duftete nach den Weiten der Lüneburger Heide und schmeckte würzig, leicht, scharf, kräftig, mild – irgendwie alles zusammen.
»Lecker.«
Luise kicherte. Schien ihre Lieblingsbeschäftigung zu sein. »Und hilft in allen Lebenslagen. Abends reibe ich mich damit ein. Ich schwöre, mein Schnaps ist das beste Rheumamittel der Welt.«
Daher der ungewöhnliche Körperduft, dachte Hanna und kicherte jetzt auch ein bisschen. Luise war schwer in Ordnung, und warum sollte eine gut Achtzigjährige eigentlich nicht ihre Freundin werden können?
»Bei Zahnweh hab ich’s auch schon ausprobiert. Hab ein Stück Brot mit meinem Schnaps getränkt und lange draufgebissen. Hab nichts mehr gespürt, musste nur ein paar Mal nachlegen. Na, und bei Weltschmerz aller Art hilft es, sich reichlich davon hinter die Binde zu kippen.«
»Ach so«, sagte Hanna und trank ihr Gläschen aus, das gleich wieder aufgefüllt wurde. Sie überlegte, ob sie im Dienst war. Nein, erst morgen. Also runter damit. Dabei konnte sie auch eine Weile vergessen, dass die Begegnung mit Johannsen sie so irritiert hatte.
»Jetzt erzähl endlich«, sagte Luise. »Was hat dich ausgerechnet in die Heide verschlagen?«
Hanna ließ sich anstandslos duzen, der destillierte Wacholder wirkte bereits Wunder.
»Eigentlich der blöde Hansdieter«, erklärte sie.
»Aha. Dein Freund?«
»Nein. Mein Freund heißt Hendrik. Also, mein Exfreund. Der war aber auch beteiligt. Jedenfalls – Hansdieter ist mein Navi … äh … ich meine, das war mein Vorgesetzter in Altona.« Sie war Luise dankbar dafür, dass sie jetzt mal nicht kicherte.
»Gut. Weiter.«
»Hansdieter Behrens hat mich drei Jahre lang bei jeder Beförderung übergangen. Das fand ich ungerecht. Ich bin eine gute Kommissarin, korrekt, fleißig und immer pünktlich.«
Etwas in Luises Blick störte sie.
»Ich hab mir nie irgendwas zu Schulden kommen lassen, und bestechlich bin ich auch nicht, das kannst du mir glauben.«
War das etwa Mitleid in Luises Augen? Hanna blinzelte. Blödsinn, der Schnaps verzerrte anscheinend ihre Wahrnehmung.
»Ich hätte es verdient gehabt, Hauptkommissarin zu werden«, fuhr sie fort. »Schon lange. Aber ich konnte so viel Einsatz zeigen, wie ich wollte, Behrens hat mich einfach nicht berücksichtigt.«
Der bekannte Zorn stieg in ihr auf, und sie hielt ihr leeres Glas hoch.
Luise schien zu zögern, schenkte aber doch nach. »Du bist noch sehr jung, Schätzchen«, murmelte sie
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