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Mord ohne Leiche

Mord ohne Leiche

Titel: Mord ohne Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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undurchdringlichen Augen hingen schwere Lider. Die
Nase war lang und breit, der Mund verkniffen. Als die Tür hinter ihm
abgeschlossen wurde, sah er sich um und ballte in einem Reflex die Fäuste.
    Ich hatte mir sein Geständnis vom Abend
zuvor auf Video angesehen, aber lebendig vor mir wirkte er anders. Kleiner und
verwundbarer. Und irgendwie unfähig zu einem so schrecklichen Verbrechen, wie
er es vor der Kamera zugegeben hatte.
    Während ich ihn musterte, ging mir — nicht
zum erstenmal — durch den Kopf, daß er möglicherweise von einem Justizapparat
überrollt worden war, der nicht gerade beide Augen zudrückte, wenn er einen
jungen, ungebildeten Schwarzen mit ein paar Jugendstrafen unter
aufsehenerregender Anklage vor sich hat. Opfer des Systems oder kaltblütiger
Killer? Im Moment ließ ich das Urteil lieber ausstehen.
    »Mr. Foster«, sagte ich, »mein Name ist
Sharon McCone von der Anwaltskooperative All Souls. Sie wissen von Jack Stuart,
daß ich Sie besuchen wollte.«
    Bobby Foster nickte unbewegt.
    »Sie sollten sich besser setzen.« Ich
zeigte auf den einzigen Stuhl auf seiner Seite des Gitters. »Wir haben eine
Menge zu besprechen.«
    Diesmal reagierte er überhaupt nicht.
Ich wartete.
    Schließlich sagte er. »Weiß nicht, was
Sie glauben, für mich tun zu können.« Seine Stimme war tief — die Stimme eines
großen Mannes, gefangen in einem schmächtigen Körper.
    »Ich bin auch nicht sicher, ob ich
etwas für Sie tun kann. Um das herauszukriegen, bin ich hier.«
    Das Eingeständnis meiner eigenen
Unsicherheit schien ihn lockerer zu machen. Vielleicht gefiel es ihm, daß ich
nicht vorgab, auf alles eine Antwort zu haben. Er ging zum Stuhl und hockte
sich auf die Kante.
    »Was hat Jack Stuart Ihnen über mich
erzählt, Bobby? Ich darf Sie doch Bobby nennen?«
    Er zuckte mit den Schultern.
    »Und nennen Sie mich bitte Sharon.«
    Er sah mich einen Augenblick lang unter
seinen schweren Augenlidern an und sagte dann: »Stuart hat mir nur erzählt, daß
Sie Privatdetektivin in seiner Kanzlei da sind. Er sagt, vielleicht können Sie
was tun, damit ich aus dieser Schweinerei rauskomme.«
    »Sie scheinen nicht daran zu glauben.«
    Wieder nur Schulterzucken. »Weiß nicht,
was irgendwer tun kann. Sie klagen mich an, bringen mich her. Und irgendwann
machen sie mich kalt.«
    »Aber Sie behaupten, Sie hätten den
Mord nicht begangen.«
    »Jetzt sehen Sie so aus, als
glaubten Sie mir nicht.«
    »Ich weiß noch nicht, was ich glauben
soll. Viele schuldige Leute behaupten, sie sind unschuldig. Aber ich habe Ihre
Version von der Geschichte noch nicht gehört. Und Jack Stuart glaubt Ihnen.«
    Er setzte sich auf, und lehnte sich auf
dem Stuhl zurück. »Dieser Stuart, der ist okay. Besser als dieser
Pflichtverteidiger, den ich vor Gericht hatte. Vielleicht.«
    Bobbys erster Anwalt war nur Pflichtverteidiger
gewesen. Nach der Verurteilung hatte seine Mutter Geld zusammengekratzt, um All
Souls für die Berufung zu gewinnen. »Jack ist ein guter Strafverteidiger«,
sagte ich. »Wenn das Verfahren eine Möglichkeit hergibt, Ihre Verurteilung
aufzuheben, dann findet er sie. Aber der Pflichtverteidiger, den Sie hatten,
war auch nicht schlecht. Doch es lief letzten Endes darauf hinaus, daß ein
stichhaltiger Beweis gegen Sie sprach.«
    Seine Augen wurden schmaler, und er
beugte sich vor, die Arme auf der Tischplatte. »Das nennen Sie einen Beweis?
Immerhin wurde ihre Leiche nie gefunden. Wie, zum Teufel, können sie einen in
die Gaskammer schicken, wenn sie nicht mal ’ne Leiche haben?«
    Ich wußte, daß sowohl der
Pflichtverteidiger als auch Jack ihm die gesetzliche Grundlage für seine
Verurteilung »ohne Leiche« erklärt hatten. Und ich wußte auch, daß er sich stur
weigerte, diese Erklärung zu akzeptieren, und jedesmal heftig mit ihnen
gestritten hatte, wenn die Rede darauf kam. Ich vermutete, daß er — weil er
sonst nichts hatte — sich daran als eine letzte Hoffnung klammerte, von der er
nicht ablassen wollte. Entschlossen, ihn nicht auf diesen reichlich
strapazierten Punkt ausweichen zu lassen, fragte ich: »Was ist Ihrer Meinung
nach mit ihr passiert?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Tracy Kostakos war eine Freundin von
Ihnen. Sie müssen doch eine Idee haben, wohin sie verschwunden sein könnte.«
    »Wäre ich hier, wenn ich eine Idee
hätte?«
    »Manche Leute glauben, daß sie noch am
Leben ist. Ihre eigene Mutter, zum Beispiel. Laura Kostakos glaubt, ihre
Tochter ist aus freien Stücken

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