Mord ohne Leiche
verschwunden.«
Sein Blick wanderte von mir zu einem
Punkt hinter meiner linken Schulter. Plötzlich spürte ich ein Prickeln im Kreuz
— wie ich es oft spüre, wenn ich das Gefühl habe, jemand enthält mir etwas Wichtiges
vor.
Ich sagte: »Bobby, was, glauben Sie,
ist mit Tracy passiert?«
»Weiß ich nicht«, gab er zurück. Er
mied noch immer meinen Blick. »Aber sie lebt nicht mehr. Sonst hätte sie das
mit mir gehört und wäre gekommen und hätte alles in Ordnung gebracht.« Er
schwieg einen Augenblick und setzte dann hinzu: »Tracy ist bestimmt tot. Aber
ich habe ihr nichts getan.«
»Warum haben Sie dann gestanden?«
»Das habe ich später zurückgenommen. Es
war nur eine Geschichte.«
»Eine Geschichte, Bobby?«
»Genau.«
»Sie paßte aber verdammt gut zu den
Fakten.«
»Fakten? Gibt keine Fakten. Gibt nicht
mal ’ne Leiche.«
»Warum haben Sie gestanden?«
Er ballte die Fäuste, legte den Kopf in
den Nacken und sah an die Decke. Die Nackenstränge spannten sich, während er um
Beherrschung kämpfte.
Bobby Foster war Weltmeister im
Verlieren von Selbstbeherrschung, und sein Register an Jugendstrafen belegte
das. Aber unter der Obhut eines staatlichen kalifornischen Erziehungsheims
hatte er offensichtlich gelernt, seinen Hang zur Gewalttätigkeit zu zügeln. In
seinem Leben war es aufwärts gegangen — bis Tracy Kostakos vor knapp zwei
Jahren in einer regnerischen Nacht verschwunden war.
Nach einer Weile entspannten sich seine
Fäuste, und der Kopf sank nach vorne. Sein Blick war eindringlich, aber ohne
Zorn. »Schon mal richtig Angst gehabt, Lady? Ganz erbärmliche Angst?«
Das hatte ich, und zwar oft genug, aber
ich hatte das Gefühl, er meinte eine andere Art von Angst. Ich schüttelte den
Kopf.
»Dann wissen Sie es nicht. Sie haben es
mir stundenlang eingehämmert, mir gesagt, was ich getan habe. Sie haben gesagt,
ich bin beim Lügendetektor-Test vorher durchgefallen. Mein Anwalt, der hat
später rausgekriegt, daß das nicht stimmte. Ich soll bei einigen Sachen gelogen
haben, aber nicht dabei, ob ich sie umgebracht habe. Irgendwann habe ich ihnen
dann geglaubt, und noch mehr Angst gekriegt. Ich bin müde geworden und
durcheinander. Nach einer Weile habe ich angefangen, alles zu glauben, was sie
mir sagten. So läuft das, es ist, als erinnert man sich an einen Traum, den man
mal hatte. Du fängst an zu sehen, was sie dir sagen, nur nicht richtig, weil es
ja nur ein Traum ist.«
»Und dann?«
»Wird es wirklich. Man sieht es immer
besser. Aber es bleibt immer noch wie das Bild auf einem alten Fernseher, der
nicht mehr richtig funktioniert. Man hört auf, Angst zu haben, weil man so müde
ist. Sie hämmern immer weiter auf einen ein, und man denkt, vielleicht gehen
sie weg, wenn man ihnen den Traum erzählt. Macht nichts, ist ja nur ein Traum —
oder? Also erzählt man ihn. Dann kommt man darauf, daß es gar kein Traum ist — es
ist ein beschissener Alptraum.«
Ich lehnte mich zurück und versuchte,
mir vorzustellen, was er erzählt hatte. Es gelang mir und gelang mir auch
wieder nicht. Doch es paßte zu gewissen Widersprüchlichkeiten, die mir in den
Gerichtsprotokollen und auf dem Videoband mit seinem Geständnis aufgefallen
waren. Heutzutage sind die Verhörmethoden der Polizei zivilisierter als die
alte Hinterzimmer-Masche, aber immer noch konnten sie zu guter Letzt am Ende
falsche Schuldgeständnisse produzieren.
Nach kurzer Pause sagte ich: »Erzählen
Sie mir von sich, Bobby.«
Sein Gesicht, das angeregt gewirkt
hatte, als wir über sein Geständnis sprachen, wurde ausdruckslos. »Warum?«
»Wenn ich Ihnen helfen soll, muß ich
etwas von Ihnen wissen.«
»Was wollen Sie wissen?«
»Alles, was Sie mir erzählen möchten.«
»Gibt nichts zu erzählen.«
»Sie sind in San Francisco
aufgewachsen, nicht?«
»In Potrero Hill. In den Projects.«
»Auch da zur Schule gegangen?«
»Eine Zeitlang.«
»Bis zu welcher Klasse?«
»Siebte.«
»Und dann rein ins Erziehungsheim und
wieder raus.«
Er nickte.
Obwohl ich die Antwort bereits kannte,
fragte ich: »Auf welche Weise sind Sie da rausgekommen?«
Schweigen.
»Bobby?«
»Also, Stuart kennt doch den ganzen
Mist. Warum fragen Sie nicht ihn?«
»Ich würde es lieber von Ihnen hören.«
Er zögerte und sah mich an mit einer
Mischung aus Mißtrauen und Hoffnung. »Glauben Sie wirklich, Sie können mir
helfen?«
»Ich werde es versuchen.«
»Wie?«
»Indem ich neue Beweise heranschaffe.
Indem ich herausbekomme, ob Tracy
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