Mord und Brand
den er von seiner Schwägerin, die mehrere Schweine im Stall hatte, bekommen hatte. Eine Delikatesse in Zeiten des Fleischmangels! Zufrieden und entspannt, wie sie sich nun fühlte, sprach Aurelia recht kräftig dem Wein zu. Als sich schließlich in ihrem Kopf alles ein bisschen drehte, lehnte sie sich an Nechyba. Sie kaute langsam und genussvoll an einer Speckscheibe und hatte plötzlich die Erleuchtung:
»Nechyba! Jetzt weiß ich endlich, wer der Kerl war, der mich in der Früh so bös ang’schaut hat. Das war der, den ich unlängst gemeinsam mit dem Oprschalek vor’m Café Dobner g’sehen hab…«
IX/2.
›Der liebe Vetter Franz…‹ hörte er im Traum eine junge Stimme mit leicht böhmischem Akzent sagen. Lächelnd erwachte er mit einem glücklichen, entspannten Gesichtsausdruck. Nicht die enge, stinkende Zelle in der Strafanstalt Stein und auch nicht das muffige Zimmer der Eisenbahnerwitwe, wo er nach seiner Haftentlassung als Bettgeher in einem Waschtrog übernachtet hatte, umgaben ihn. Er lag vielmehr in einem breiten Bett, das mit herrlich frischer Bettwäsche bezogen war. Die Sonne blinzelte zwischen den vorgezogenen Vorhängen herein und Budka gähnte verschlafen. Noch immer grinsend räkelte er sich zufrieden und erinnerte sich, wie er vor einigen Wochen am Abend das erste Mal die Hubendorfer’sche Wohnung betreten hatte. Kaum, dass er im Vorzimmer gestanden und die Tür von innen geschlossen hatte, war die Stimme der Hausfrau erklungen:
»Marie, was ist denn los? Wer ist da gekommen?«
Budka hatte dem Dienstmädchen den Zeigefinger auf den Mund gelegt und ihr gedeutet, dass sie schweigen solle. Mit schnellen Schritten hatte er das geräumige Vorzimmer durchquert, behutsam die Tür zum Salon geöffnet und war in das nur von einer Tischstehlampe beleuchtete Zimmer geschlüpft.
»Überraschung! Ich bin’s! Dein Vetter Franz…«
Wieder musste Budka grinsen, als er sich an den fassungslosen Gesichtsausdruck der Hubendorfer erinnerte. Mit riesengroßen Augen hatte sie ihn angesehen, als er sich neben ihr auf dem Sofa niedergelassen hatte und gemurmelt:
»Was erlauben Sie sich?«
Als Nächstes hatte die Hubendorfer eine Ohrfeige kassiert, die so kräftig war, dass sie fast vom Sofa gefallen wäre. Blitzschnell hatte er sie aufgefangen, zurück in die Polster des Sofas gedrückt und gezischt:
»Halt die Gosch’n! Und schau, was ich da hab…«
Dann hatte er das Zetterl hervorgeholt, mit dem die Hubendorfer ihn mit dem Mord an Fritzi Nemec beauftragt hatte.
»Da, lies: ›Friederike Nemec muss ebenfalls sterben. Sie arbeitet im Verschleißmagazin des Ersten Wiener Consum-Vereins in Wien V, Pilgramgasse 16.‹ Das ist doch deine Handschrift. Also: Soll ich das der Polizei mitsamt einem zweckdienlichen Hinweis bezüglich deiner Person zukommen lassen?«
Die Hubendorfer war leichenblass geworden. Dicke Tränen waren ihr über die Wangen geronnen. Als Budka sie dann genauer betrachtet hatte, hatte er sich erinnert: Sie war die Bekannte der dicken Groschenromanleserin im Haus gegenüber gewesen, die er dort einmal gesehen hatte. So war sie also auf ihn gekommen! Als Kolporteur von Schundromanen war er ein armer Hund, für den 500 beziehungsweise 1000 Kronen ein unvorstellbares Vermögen darstellten. Deshalb hatte die Hubendorfer ihn auserkoren, ihren Mann und dessen Geliebte umzubringen. Da sie die Anzahlung vom Wirtschaftsgeld abgezweigt hatte, musste sie ihm das Geld in Raten zukommen lassen. Sonst hätte ihr damals noch lebender Gatte Verdacht geschöpft… Als er all diese Zusammenhänge erkannt hatte, war er sehr zufrieden gewesen und hatte mit dem silbernen Glöckchen nach dem Dienstmädchen geläutet. Die Kleine, die offensichtlich an der Tür gelauscht hatte, war sofort eingetreten. Ein Bild familiärer Idylle hatte sich ihr dargeboten: Der liebe Vetter Franz hatte die arme, weinende Frau Direktor tröstend in die Arme genommen. Zwecks Beruhigung und Entspannung hatte er Marie um Sherry geschickt. Später, nachdem er sich gestärkt hatte, waren der Hubendorfer die Bedingungen für sein Schweigen sowie für das künftige Zusammenleben dargelegt worden. Budka grinste neuerlich. Denn seit damals lebte er als ›Vetter Franz‹ wie die Made im Speck. Und die Frau Direktor, die überraschend gut situiert war, beglich alle Lebenshaltungskosten sowie seine täglichen Ausgaben. Sie konnte es sich leisten. Schließlich gehörten ihr, wie er erfahren hatte, dieses Haus sowie das Mietshaus
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