Mord und Mandelbaiser
war.
»Der Mercedes verliert Öl«, sagte Hilde halb anklagend, halb erschrocken.
Pfeffer sah mit einem so ungläubigen Gesichtsausdruck auf, als hätte sie behauptet, der Leichenwagen habe Tote ausgespuckt.
Hilde deutete mit dem ausgestreckten rechten Zeigefinger auf den Ölfleck und machte mit dem gekrümmten linken kleine Winkbewegungen in Richtung Pfeffer. Der legte widerstrebend seinen Putzlappen weg, bevor er missmutig zu ihr herüberschlurfte.
Hilde bückte sich so weit hinunter, dass ihre Fingerkuppe knapp über dem Fleck schwebte. Pfeffer bückte sich ebenfalls, wobei er mit der Stirn beinahe an ihre Schläfe stieß. Er tauchte die Spitze seines Zeigefingers in das Pfützchen, rieb sie gegen seinen Daumen und roch daran.
»Motoröl, einwandfrei. Aber mit Sicherheit nicht von einem unserer Fahrzeuge.«
»Sondern?«, fragte Hilde.
Pfeffer dachte lange nach. Währenddessen beäugte er den Fleck, kratzte sich im Nacken, schaute über den Hof, runzelte die Stirn, hob den Blick, sah sinnend in die Ferne. Plötzlich hellte sich seine Miene auf.
»Ist nicht gestern Abend der Urnenkleckser mit seiner Schrottkarre auf den Hof gekurvt?«
Hilde nickte. Pfeffer hatte recht. Der Kerl, der die Kitsch-Urnen fabrizierte, war wieder einmal aufgekreuzt, um seine neueste Kollektion anzupreisen. Offenbar genügte ihm nicht, was er über Oskar Pfeffer an den Mann brachte. Und ja, sein Wagen machte den Eindruck, als würde er mehr als nur Öl verlieren.
»Dieser Siegfried ist eine Pest«, sagte Pfeffer.
Hilde fand das auch, dennoch sah sie Pfeffer fragend an.
Siegfrieds vorgebliche Kunstwerke waren scheußlich, das stand außer Zweifel. Aber bezeichnete Pfeffer – künstlerisch eher indifferent – den Urnenmaler wirklich bloß deshalb als »Pest«? Oder steckte noch etwas anderes dahinter?
Pfeffer war bereits dabei, sie darüber aufzuklären.
»Er rennt auf sämtlichen Friedhöfen herum und versucht, allen möglichen Leuten seine Machwerke aufzuschwatzen. Oft genug hat er Erfolg damit. Ich kenne eine Frau, die hat ihm an einem einzigen Nachmittag drei Urnen mit Pudelbildern abgekauft. Pudel beim Ballspielen, Pudel beim Männchenmachen, Pudel mit Sonnenbrille.« Pfeffer runzelte die Stirn. »Ich frage mich, ob es gesetzlich überhaupt erlaubt ist, die Asche eines Verstorbenen in drei verschiedene Gefäße aufzuteilen.«
»Keine Ahnung«, antwortete Hilde wahrheitsgemäß. »Ich hatte nie Anlass, mich darüber kundig zu machen.« Nachdenklich fügte sie hinzu: »Aber ich bin mir sicher, das Bestattungsrecht verbietet dem Urnenmaler, seine Ware auf Friedhöfen anzupreisen.« Sie überlegte einen Moment, bevor sie fortfuhr: »Paragraph eins des Wettbewerbsrechts müsste da greifen. Er untersagt Gewerbetreibenden ausdrücklich, auf Friedhöfen Werbung zu betreiben.«
»Paragraph eins«, wiederholte Pfeffer. »Damit haben wir ihn. Wo kämen wir denn da hin, wenn Hinz und Kunz am Friedhof hausieren gehen dürften?«
Hilde nickte. »Wenn man ihm den Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht beweisen kann, blüht ihm ein Bußgeldbescheid, aber offenbar ist es ihm das Risiko wert.«
»Ich glaube, für ein paar Geschäftsabschlüsse würde der Kerl seine Großmutter verkaufen«, sagte Pfeffer gehässig.
Oder vergiften, schoss es Hilde durch den Sinn.
Sie wollte sich eben wieder in Bewegung setzen, als Pfeffer sagte: »Oskar wird gleich noch zwei Särge, Beschläge und Sargausstattung liefern. Er fragt übrigens jedes Mal, wenn er vorbeikommt, nach Lore und trägt mir Grüße an sie auf. Ich finde das unsinnig, wo Lore doch …« Er verstummte.
Hilde ging nicht auf seine Bemerkung ein. »Gut«, erwiderte sie stattdessen. »Und bringt die Sargwäsche in den Ausstellungsraum, wo sie hingehört.« Sie wandte sich nun endgültig zum Gehen, rief jedoch über die Schulter zurück: »Die Hintertür habe ich noch nicht abgesperrt.«
Damit ließ sie Pfeffer zurück, eilte auf das Häuschen ihres Neffen zu, schloss die Haustür auf und trat resolut ein.
Als Erstes fiel Hilde das Buch ins Auge. Es lag aufgeschlagen in einer Sofaecke.
Er liest also immer noch darin, dachte sie und wollte den Schmöker schon in die Hand nehmen, entschied aber, das auf später zu verlegen und sich in der Wohnung erst einmal einen Überblick zu verschaffen.
Eine Stunde später wusste sie, dass es auch in Rudolfs Privaträumen nichts gab, was darauf schließen ließ, er könnte bei Sterbenden mit Barbituraten nachgeholfen haben – keine einschlägigen
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