Mord und Mandelbaiser
zurückzupfeifen, und sagte in scharfem Ton: »Lass gut sein jetzt und hör auf zu zetern. Wir machen in dem Tempo weiter, in dem es uns halt möglich ist.« Milder fuhr sie fort: »Hast du nicht schon genug um die Ohren? Reicht es nicht, dass du mutterseelenallein im Bestattungsinstitut die Stellung halten musst, weil Lore nach wie vor im Koma liegt, Rudolf deswegen mit der Arbeit nicht nachkommt und Pfeffer derweil mit dem Grabbagger von Friedhof zu Friedhof hetzt?«
Aber Hilde ließ sich nicht besänftigen. Sie stach auf den Blätterteig ein, als hätte sie vor, Hackschnitzel daraus zu machen. »Wollen wir das Ganze nun aufklären oder uns Ausreden dafür einfallen lassen, es nicht zu tun, weil wir zu feige sind, weiterzumachen?«
Seufzend legte Thekla ihre Kuchengabel ab. Sie hatte ihr Stück Agnes-Bernauer-Torte schon halb aufgegessen, ohne wie sonst die cremig herbe Süße genießen zu können.
Ich hätte ebenso gut geraspelte Möhren bestellen können, dachte sie verärgert, dann würde ich morgen wenigstens nicht ein Kilo mehr auf die Waage bringen.
»Gut«, wandte sie sich an Hilde. »Der nächste Schritt wäre also, Meilers Bruder ausfindig zu machen, um mit ihm zu reden.«
»Wir könnten im Telefonbuch nachsehen«, meldete sich Wally. »Oder meint ihr, der Name Meiler ist zu häufig?«, fügte sie zaghaft hinzu.
Hilde gab ein entrüstetes Schnauben von sich. »Welches Telefonbuch würdest du denn da empfehlen? Der Meiler-Junge kann ja überall hingezogen sein.«
»Aber«, wagte Wally einzuwenden, »Elisabeth hat doch gesagt, dass er öfters zu Besuch gekommen ist, da kann er doch nicht recht weit weg wohnen.«
»Also schön«, lenkte Hilde ein, »gehen wir vernünftigerweise davon aus, er ist im Landkreis geblieb–«
Sie unterbrach sich, weil Thekla plötzlich zusammengefahren war, als hätte sie sich gestochen.
»Was ist denn mit dir?«, fragte sie.
»Sie sind Halbbrüder«, sagte Thekla.
»Davon war von Anfang an die Rede, was stört dich jetzt auf einmal daran?«, fragte Hilde unwillig.
Thekla rieb mit zwei Fingern über ihre Stirn. »Der andere muss nicht zwangsläufig Meiler heißen.«
»Nicht?«, kam es erstaunt von Wally.
»Unsinn«, sagte Hilde. »Hieß es nicht immer ›die Meiler-Buben‹?«
»Ja, schon«, gab Thekla zu. »Aber sicher können wir uns dessen nicht sein.
»Toll.« Hildes Stimme troff vor Ironie. »Wir suchen also nach einer Person, von der wir weder den Namen noch den Aufenthaltsort wissen – genau genommen wissen wir nicht einmal, ob der Kerl noch lebt.«
»Welcher von den beiden Brüdern ist denn nun eigentlich der Epileptiker?«, meldete sich Wally.
»Das«, antwortete Hilde spitz, »wissen wir im Prinzip auch nicht.«
Wally straffte sich und hörte sich schier heroisch an, als sie sagte: »Vielleicht sollte ich jetzt gleich noch mal zum Apothekencenter gehen. Der netten Frau, die mich dort bedient hat, wird sicherlich noch einiges über die Meilers einfallen, wenn sie ein wenig an ihre Zeit in Granzbach zurückdenkt.«
Im nächsten Moment fiel sie allerdings in sich zusammen wie ein verdorbenes Soufflé, denn Hilde erwiderte: »Ja, das solltest du. Und der Fußmarsch würde dir auf alle Fälle besser bekommen als ein zweites Stück Torte.«
Thekla warf Hilde einen tadelnden Blick zu und legte Wally die Hand auf den Arm. »Bleib sitzen, Wally. Wer weiß, ob die Frau heute überhaupt Dienst hat; und selbst wenn, vielleicht herrscht so ein Andrang, dass sie sich für ein Privatgespräch gar keine Zeit nehmen kann. Außerdem, wie wahrscheinlich ist es denn, dass sie sich an viel mehr erinnert? Offenbar ist es ja eher Jahrzehnte als Jahre her, seit sie aus Granzbach weggezogen ist.«
Wally atmete sichtlich auf.
»Aber wir müssen diesen Halbbruder finden«, sagte Hilde nachdrücklich. »Es springt doch geradezu ins Auge, dass er derjenige ist, der das Barbiturat besorgt, mit dem Meilers Birnensaft versetzt wurde.«
»Selbstverständlich müssen wir das«, stimmte ihr Thekla zu. »Weil uns aber Name und Adresse fehlen, sollten wir versuchen, ihm aus einer anderen Richtung auf die Spur zu kommen.«
»Aus welcher denn?«, fragte Hilde fast lauernd.
»Wie wäre es, wenn wir wieder der Birnensaftfährte folgen würden?«, antwortete Thekla.
»Und wo soll die noch hinführen?«
»Führt sie nicht zum Haus des Dichters?«, fragte Thekla.
Wally hatte sich offenbar von ihrem Schock erholt. Sie bestellte sich bei Elisabeths Vertretung ein Stück Baumkuchen und
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