Mord und Mandelbaiser
wandte sich dann aufgeregt an Thekla. »Zur Witwe. Sie führt zur Witwe. Sepp hat doch gesagt …«
Hildes Stimme unterbrach sie. »Wir schnappen uns die Witwe und prügeln aus ihr heraus, wie sie dazu kommt, deinen Mann –«
»Wir«, schnitt ihr Thekla das Wort ab, »machen einen Spaziergang um die Moosbachschleife. Das dürfte unserem Beschatter nicht besonders verdächtig erscheinen. Außerdem bleiben wir zusammen. Das macht uns weniger angreifbar. Am Haus des Dichters legen wir eine Rast ein und bewundern den Garten. Wenn Gerlinde Lanz zu Hause ist, wird sie herauskommen und sich in unserem Beifall sonnen wollen.«
Wally klatschte in die Hände. »Oh ja, da kann ich sie fragen, wo sie die hübsche Ente aus schwarzem Metall gekauft hat, die so niedlich mit dem Kopf wackelt.«
Hilde gab ein besorgniserregendes Röcheln von sich.
»Brechen wir vom Fleck weg auf?«, fragte Wally begeistert.
Thekla schüttelte den Kopf. »Wir sollten uns für morgen verabreden. Es wirkt harmloser, wenn wir uns erst morgen treffen, zudem haben Martin und ich heute noch eine gesellschaftliche Verpflichtung.«
»Und ich muss schleunigst ins Geschäft zurück«, schloss sich Hilde an. »Rudolf hat gleich einen Auswärtstermin.«
Nachdem die Rechnung beglichen war, erhob sich Hilde, und Wally folgte ihrem Beispiel, nur Thekla machte keine Anstalten, aufzustehen.
Als Hilde ihr einen fragenden Blick zuwarf, deutete Thekla auf den Rest des Tortenstücks, der noch auf ihrem Teller lag. »Ich esse in Ruhe zu Ende und denke dabei ein wenig nach.«
Zum Nachdenken sollte sie allerdings nicht kommen.
Kaum hatten Hilde und Wally das Krönner verlassen und kaum hatte Thekla den ersten Bissen im Mund, den sie gründlich auszukosten gedachte, hörte sie eine wohlbekannte Stimme hinter sich.
»Darf ich mich einen Moment zu Ihnen setzen?«
Heinrich Held hielt eine Kaffeetasse in der einen und einen Teller, auf dem eine Butterbrezel lag, in der anderen Hand.
Thekla schluckte den Bissen unzerkaut hinunter. Wie oft hatte sie im Laufe ihrer Unterhaltung mit Hilde und Wally den Blick prüfend durch das Café schweifen lassen? Zehnmal? Zwanzigmal? In welcher Nische hatte sich Heinrich versteckt gehabt? Theklas Augen fixierten die Brezel. »Das ist eine Konditorei, da bestellt man sich doch Kuchen oder Torte. Mögen Sie nichts Süßes?«
Lachend nahm Heinrich auf dem Stuhl ihr gegenüber Platz. »Wie habe ich doch neulich irgendwo gelesen: Kalorien sind fiese kleine Tierchen, die nachts die Kleidung enger nähen.«
»Ich kenne sie gut«, erwiderte Thekla.
Heinrich strich über ihren Handrücken. » Sie müssen Kalorien wirklich nicht fürchten. Genießen Sie die berühmte Agnes-Bernauer-Torte unbeschwert und mit der erforderlichen Muße.«
Offenbar wusste er genau, wie er ihr zu besagter Muße verhelfen konnte, denn er begann gelassen, Stück für Stück von seiner Brezel abzubrechen und schweigend zu verspeisen.
So saßen sie, jeder mit sich selbst beschäftigt, sich still gegenüber wie ein langjähriges vertrautes Ehepaar.
Eine schlichte Brezel scheint ihm tatsächlich lieber zu sein als Kuchen und Torten, streifte Thekla ein kurzer Gedanke, während sie Mokkacreme im Mund zergehen ließ. Denn schlank und drahtig, wie er ist, müsste er nicht auf Konditorwaren verzichten. Als der Gedanke daraufhin die Frage aufwarf, weshalb Heinrich Held ausgerechnet das Café Krönner aufsuchte, um eine ganz gewöhnliche Brezel zu verzehren, verjagte sie ihn. Doch widerspenstig kehrte er zurück und ritt darauf herum, dass Heinrich Held es wieder einmal geschafft hatte, sich unbemerkt in ihre Nähe zu schleichen.
Das gelingt ihm ja erschreckend gut, flüsterte der Gedanke. Könnte nicht Held es gewesen sein, der über dich herfiel, als du unter der Scheuerbacher Brücke deinen Gedanken nachhingst? Könnte er auch Wally …?
Thekla schickte den Gedanken zum Teufel.
Der Kuchenteller war leer gekratzt, der Geschmack der Mokkacreme auf ihrer Zunge begann bereits zu schwinden.
Heinrich Held räusperte sich und sagte: »Bitte, Thekla, vertrauen Sie mir an, was hier vor sich geht.«
Seine Stimme klang sanft, betörend fast, sie hüllte Thekla ein wie eine Wolke aus Wohlgerüchen. Heinrich hatte mit seinem Blick den ihren eingefangen, hielt ihn fest und wiederholte: »Bitte, Thekla, sagen Sie es mir.«
Ohne bewusst den Entschluss dazu gefasst zu haben, begann Thekla zu sprechen. Sie hatte bereits von Rudolfs Beobachtungen berichtet, als sie merkte, was
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