Mord und Mandelbaiser
Thekla.
»Mit einem Gläschen Rotwein vielleicht?«
Thekla nickte. Herrgott, woher kennt er mich so gut?
Es blieb still, bis der Wein serviert war und sie die Gläser hoben. Da sagte Heinrich: »Ich danke dir für dein Vertrauen.«
Thekla hatte sich weit genug gefangen, um trocken antworten zu können: »Höchste Zeit, dich zu revanchieren.«
Er nickte. »Das will ich gern tun, aber was ich zu sagen habe, ist längst nicht so spektakulär wie deine Geschichte.« Heinrich setzte sich zurecht, tastete erneut nach ihren Händen und begann zu sprechen. »Wie inzwischen anscheinend allgemein bekannt ist, habe ich mich nach meiner Pensionierung in Moosbach angesiedelt. Nachdem ich aus dem Dienst ausgeschieden war, wollte ich weg von der Hauptstadt; weit weg von dort, wo Terrorzellen ihre Netze auswerfen, wo ich die Wohnungen verdächtiger Personen lokalisieren kann und beinahe jede fragwürdige Kneipe kenne. Aber wie heißt es so schön: Die Katze lässt das Mausen nicht, und diese Volksweisheit trifft wohl auch auf mich zu, obwohl ich in meiner Laufbahn nicht häufig mit Ermittlungen vor Ort zu tun hatte.«
Thekla fühlte die Wärme seiner Haut, blickte in seine blaugrauen Augen, hörte seine sympathische Stimme und hatte Mühe, sich auf seine Worte zu konzentrieren. Heinrich fuhr fort: »Was mich hellhörig gemacht hat, war der Name Hermann Lanz. Ich hatte gerade meine Anmeldebestätigung im Rathaus abgeholt und ging über den Vorplatz, als mir im Schaukasten mit den Gemeindenachrichten und allen möglichen Angeboten ein Lyrikbändchen des Dichters Hermann Lanz ins Auge fiel. Ganz automatisch habe ich den Namen mit Informationen über staatsfeindliche Gruppierungen verknüpft, die mir in meiner Zeit beim BND untergekommen sind, und erinnerte mich, dass Lanz wegen seiner Texte überprüft worden war.«
Thekla musste lachen. »Seine Gedichte sind mir zwar ausgesprochen suspekt, aber für staatsfeindlich hätte ich sie nicht gehalten.«
»Sie sind grauenhaft«, gab ihr Heinrich recht. »Und einige von ihnen lassen auf eine, nennen wir es gestörte ethische Grundanschauung schließen. Deshalb wurde er unter die Lupe genommen.«
»Was ist dabei herausgekommen?«, fragte Thekla gespannt.
»Wenig«, antwortete Heinrich. »Lanz lebte vom Geld seiner Frau und schrieb schlechte Gedichte, die ihm jedoch durchaus Bewunderung einbrachten – hauptsächlich bei der älteren Generation. Er unterhielt keine verdächtigen Kontakte, besaß keine verbotenen Embleme oder Schriften und verbreitete keine Hetzparolen.«
Heinrich ließ für einen Moment ihre Hand los und trank ihr zu.
»Trotzdem«, berichtete er dann weiter, »verblieb sein Name im System, denn Lanz wirkte sehr überzeugt, sehr leidenschaftlich, ja fast fanatisch, was das Gedankengut betraf, das in seinen Gedichten dort und da auftauchte.« Heinrich verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Ich kann nicht recht erklären, was mich dazu bewog – vielleicht war es Neugier, vielleicht wollte ich nur die Zeit totschlagen –, jedenfalls fing ich an, regelmäßig Wanderungen am Moosbach entlang zu unternehmen, die mich jedes Mal zur Granzbacher Schleife führten.«
Thekla hatte sich bequem zurückgelehnt, achtete jedoch darauf, dass ihre Hände mit den seinen verbunden blieben.
»Und da machte ich so meine Beobachtungen«, erzählte Held weiter. »Ziemlich regelmäßig – meist nachmittags gegen vier – verließ Lanz das Haus und fuhr davon. Immer hielt er eines seiner Gedichtbändchen in der Hand, wenn er in den Wagen stieg. Meist, aber nicht jedes Mal, hatte er auch eine kleine Umhängetasche dabei.
Kaum hatte Lanz das Grundstück verlassen, pflegte ein Kastenwagen der Tischlerei Maibier vorzufahren.«
»Also doch«, entschlüpfte es Thekla. »Maibier hat was mit der Lanz.«
»Das war auch meine Deutung«, stimmte ihr Heinrich zu. »Denn wäre er wegen Tischlerarbeiten gekommen, hätte es eigentlich ab und zu ein Zusammentreffen mit Lanz geben müssen. In letzter Zeit wurden Maibiers Besuche allerdings spärlicher und kürzer. Die Affäre ist so gut wie beendet, würde ich sagen.«
Thekla fühlte sich regelrecht erleichtert. Wally musste von dem Seitensprung ihres Mannes nie etwas erfahren.
»Irgendwann begann ich mich natürlich dafür zu interessieren, wohin es Lanz so wiederholt mit seinen Gedichtbändchen zog«, sagte Heinrich. »Um das herauszubekommen, musste ich ihm mit meinem Wagen folgen. Das tat ich dann auch einige Male.«
Thekla nickte
Weitere Kostenlose Bücher