Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
Akzeptanz führen würde, wäre alles anders gekommen. Jetzt war es zu spät. Nichts würde Fredrik wieder zum Leben erwecken.
Vielleicht würde niemand je verstehen, wie sehr sie immer gefürchtet hatte, alt und hilflos zu werden, die Welt nicht mehr zu begreifen und auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Im Traum sah sie sich schon ohnmächtig und abhängig, in einem Körper gefangen, der nicht mehr ihr gehörte und ihrem Willen nicht mehr gehorchte. Sah, wie ihre Haut schuppig wurde, die Knochen steif und sie förmlich verfaulte. Ein Schädel auf einem Kissen. Der Geruch von vergessenen Rosen und ewigem Verfall stieg ihr in die Nase. Dieses Grauen motivierte ihren Wunsch, jede Sekunde richtig zu leben. Dieses Grauen hatte sie ihrem Vater ersparen wollen. Dieses Grauen hatte sie dazu veranlasst, Elsa Karlstens Geld anzunehmen, ohne eigentlich
zu wissen, wer die Tat begangen hatte, um ihrem Vater ein erträgliches Leben zu ermöglichen und ihn vor dem würdelosen Siechen in einem anonymen Bett zu bewahren. Es war dieses Grauen, das sie bewogen hatte, Anna Danelius’ Beatmungsgerät abzustellen.
Anschließend hatte sie mit kleinen schwarzen Teufelchen gekämpft und immer wieder geschrien. Das wollte ich nicht. Es war nicht vorsätzlich. Ich fand sein Ansinnen fürchterlich. Ich habe mich gewehrt. Ich habe abgelehnt. Ich habe zu ihm gesagt, das sei unmöglich. Ich habe nichts geplant. Ich hatte keine Absichten. Ich habe das nie als einen zweiten Mord betrachtet, da es für mich keinen ersten Mord gegeben hat. Ich habe mich nur dorthin begeben, um mich umzusehen. Aus Respekt vor einer Frau, die denselben Namen trug wie ich. Ich wollte meine eigene Angst bekämpfen. Ich glaubte, sie würde mir helfen können.
Aber als ich dorthin kam und sie sah, Anna, meine Namensschwester … als ich erkannte, dass sie eigentlich schon tot war … als ich ihren Geruch bemerkte … da verlor ich die Kontrolle über mich. Ich habe schließlich nur auf einen Knopf gedrückt. Dann habe ich ein zweites Mal auf diesen Knopf gedrückt. Eine kurze Pause der künstlichen Beatmung, mehr habe ich nicht dazu beigetragen. Eigentlich wollte ich nur eine gute Tat vollbringen. Ich glaubte, man würde mir verzeihen, selbst wenn man mich ertappen würde. Ist es denn meine Schuld, dass das Leben und der Tod die Sache schon einvernehmlich geklärt hatten?
Wie hatte sie sich je einbilden können, dass ihre Tat unabhängig vom Vorher und Nachher im Universum herumschweben würde? Wie hätte sie je sämtliche Konsequenzen einer bösen oder meinetwegen auch guten Handlung voraussehen sollen? Wie konnte jemand nur glauben, dass Vorsatz und Tat Größen waren, die sich gegenseitig verziehen? Sie konnte es nicht erklären und wusste auch, dass sie sich selbst nie verstehen
würde. Ihre Vernunft hatte in den Sekunden, in denen sie den Knopf des Beatmungsgeräts betätigt hatte, ausgesetzt. Sie war aus sich herausgetreten und hatte eine Tat begangen, die sie selbst nie begangen hätte. Jetzt war alles zu spät. Nur das Leben konnte ihr noch verzeihen, falls es ihr erlaubte, die Sache wiedergutzumachen. Das Leben und Greg. Vielleicht Fanditha. Und vielleicht Mari, an dem Tag, an dem sie sich wiedersahen. Die geliebte, wunderbare, verletzliche und unschuldige Mari.
Sie hatte Glück gehabt. Unglaubliches Glück. Sie war allein im Café gewesen, als Martin Danelius hereingekommen war und seinen Wunsch wiederholt hatte. Später hatten alle immer, wenn er noch einmal das »Gespräch mit Anna« erwähnte, geglaubt, er habe die Unterhaltung bei der Beerdigung gemeint. Wenn Aussage gegen Aussage gestanden hätte, dann hätte sie die Ahnungslose gespielt. Bisher war das nicht nötig gewesen. Martin Danelius hatte ihre Unterhaltung nicht erwähnt, als sie sich zuletzt mit ihm und Elsa Karlsten getroffen hatten. Er hatte ihnen sein Beileid für Fredrik ausgesprochen. Jetzt war eine weitere Konfrontation wenig wahrscheinlich. Und falls er je Einzelheiten preisgeben würde, dann nur Elsa Karlsten gegenüber. Diese würde nicht weiter nachforschen, da sie keine Veranlassung dazu hatte.
Bislang war sie also davongekommen. Und ihre Schuldgefühle betrafen nicht Martin oder Anna Danelius. Schuld empfand sie, wenn sie daran dachte, dass sie bei einer Verkettung von Ereignissen mitgewirkt hatte, die Fredrik vielleicht das Leben gekostet hatten. Schuld empfand sie deswegen auch, wenn sie an Mari dachte, der Fredrik genauso fehlte wie ihr. Anna dachte an den Brief, den sie
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