Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
was Anna nicht war. Dann sprach sie von ihrer Bitterkeit über Annas Verhältnis zu einem Papa, bei dem sie immer das Gefühl gehabt hatte, selbst an zweiter Stelle zu kommen.
»Schließlich war ich es, die ihm Mama weggenommen hat«, sagte sie. Da Mamas übertriebene Fürsorge dazu geführt hatte, dass sie weniger Zeit für Papa gehabt hatte. Iris hatte das Gefühl, schuld daran zu sein, als es in der Ehe kriselte und es zur Scheidung gekommen war. Schließlich hatte sie sogar das Gefühl, ihr Vater würde sich nicht freuen, wenn sie von sich hören ließ. Deswegen hatte sie es dann auch unterlassen.
Anna erzählte daraufhin von ihrem eigenen Gefühl des Ausgegrenztseins. Von dem Gefühl, ein robuster Löwenzahn zu sein, der ständig mit einem zarten und duftenden Maiglöckchen verglichen wurde. Iris meinte daraufhin, sie hasse Blümchen. Ihr Name sei ein Hohn. Deswegen liebe sie auch Pferde. Hier könne sie ihre Hände im Pferdemist vergraben und die
bedingunglose Liebe von Wesen mit einem reichen Gefühlsleben und ordentlichen Muskeln genießen.
Nach einer Weile kamen sie auf Papa und auf seine Situation zu sprechen. Anna erklärte frank und frei, nichts könne den Mangel an Unterstützung in ihrem Kampf, ihm ein erträgliches Dasein zu ermöglichen, rechtfertigen. Iris verteidigte sich damit, das Ausmaß seiner Situation nicht erkannt zu haben, da ihre Informationen von Mama gekommen seien. Außerdem beharrte sie darauf, dass Papa auf sie sowieso keinen Wert gelegt hätte. Anna verlor die Fassung und erzählte von Notarzteinsätzen und Klinikaufenthalten. Nach einer Weile erkundigte sich Iris, ob sie etwas tun könne. Anna fand das etwas spät, musste ihrer Schwester jedoch zugestehen, dass sie sich nicht rauszureden suchte und aus ihren Gefühlen kein Hehl machte.
Dann erzählte Anna von Dalarna. Iris versprach, sich bei ihrem Vater zu melden und ihn baldmöglichst zu besuchen. Anna hatte den Eindruck, dass Papa für Iris nicht wichtiger war als die Pferde, fand das aber in Ordnung, solange er nicht unwichtiger war.
Sie berichtete Iris knapp von den Ereignissen der letzten Jahre, und Iris erzählte ihr ebenso effektiv von dem Reiterhof, auf dem die Kinder aus der Gegend Reitstunden nähmen, und von ihrem neuen Mann. Nach einer Weile gingen sie wieder in den Stall, und auf Annas Bitte hin sattelte Iris ein Pferd und galoppierte auf dem Hof herum. Anna sah, dass Iris auf dem Pferderücken in ihrem Element war, so wie Greg im Wasser und vielleicht so wie sie bei Greg.
Als sie sich verabschiedeten, sagte Iris noch einmal, sie wolle Papa anrufen. Sie sprachen über Mama, und eine himmlische, verzückende Sekunde lang verstanden sie sich ohne Worte und wie Schwestern. Iris’ Lächeln war nachsichtig und verständnisvoll, und Anna erwiderte dieses Lächeln. Es würde ihr immer schwerfallen, das zu verstehen, was sie in ihrer
Kindheit für Heuchelei gehalten hatte, sie wollte jedoch versuchen, einiges aus Iris’ Perspektive zu betrachten. Vielleicht würde sich wie in einem Kaleidoskop ein neues Muster ergeben. Die Umarmung beim Abschied war nicht unbedingt herzlich, jedoch von einer Art Respekt geprägt.
Respekt. Anna bemerkte, dass Greg sie die ganze Zeit über, die sie in Gedanken versunken dagesessen hatte, beobachtet hatte. Sie streckte die Hand über den Tisch, und er nahm sie und ließ seinen Zeigefinger um ihre Knöchel kreisen.
»Iris will Papa besuchen.«
»Holy shit! Das ist nicht dein Ernst. Ich dachte, sie hätten keinen Kontakt mehr.«
»So war es. Aber ich habe sie besucht, wie du weißt, und das hat sie auf andere Gedanken gebracht. Mich übrigens auch. Nicht, dass ich sie jetzt wirklich verstehen würde, aber vielleicht verstehe ich sie jetzt ein klein wenig besser als früher.«
»Alle sind nur Menschen, Anna. Alle haben auch ihre guten Seiten, wenn man nur nach ihnen sucht. It’s all about love, you know. Und dann muss man versuchen, glücklich zu werden. Glück ist keine selbstverständliche Größe. Glück ist eine Gabe und eine Fähigkeit.«
»Und du besitzt beides.«
»Nicht immer.«
Anna spürte die Wärme von Gregs Hand. Sie dachte, dass sie bald Weihnachten feiern würden, vermutlich auf dem Hausboot und vermutlich sehr einfach. Sie dachte an die Weihnachtshysterie, die bald in den Innenstädten von Amsterdam und Stockholm ausbrechen würde, und überlegte sich, ob Mari wohl Christi Geburt in Irland feiern würde. Sie wollte sie einladen, befürchtete aber, dass Mari ablehnen
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