Mord Wirft Lange Schatten: Mitchell& Markbys Dreizehnter Fall
hatte einen anderen Zweck. Irgendein alter Onkel war gestorben oder … Ihm kam ein Gedanke. Eine wilde Idee – nun ja, vielleicht doch nicht so wild, wenn er ihre Reaktionen in der Vergangenheit bedachte, wie sie im Gerichtssaal ganz in der Ecke gesessen hatte, mit dem Gesicht zur Wand. Genauso hatte sie auch im Restaurant gesessen.
»Ich suche nicht nach einer Geschichte«, sagte er.
»Es gibt nichts mehr zu schreiben über Oakley. Wäre er schuldig gesprochen worden, hätte ich noch eine volle Seite über ihn schreiben können. Aber wenn ich jetzt über ihn schreibe, hetzt er mir seine Anwälte auf den Hals. Jetzt ist er ein unschuldiger Mann.« Stanley zögerte.
»Sie trauern?«
»Nein«, sagte sie nach einer kurzen Pause. Er war sicher, dass sie überlegt hatte, ihm eine Lüge zu erzählen, doch dann hatte die Wahrheit gesiegt. Schließlich überrumpelte sie ihn vollkommen.
»Ich verstehe den Grund für Ihre Neugier, Mr. Huxtable. Viele andere empfinden genauso. Allerdings verfolgen sie mich nicht durch die Straßen. Mein Vater hat Sie als einen sehr hartnäckigen Mann beschrieben. Ich vermute, Sie werden mir weiterhin auflauern, wann immer ich die Nase aus der Tür strecke, bis Ihre Neugier zufrieden gestellt ist. Nun, dann sei es so.« Sie stellte den Weidenkorb auf den Boden und hob die Hand zu ihrer Haube.
»Ich werde Ihre Neugier nun befriedigen, und vielleicht lassen Sie mich dann endlich in Frieden.« Stanley hatte sich ausgemalt, was hinter dem Schleier verborgen lag, und sich innerlich gewappnet. Doch es war längst nicht so schlimm, wie er insgeheim befürchtet hatte. Er hatte schließlich schon häufig mit verstümmelten Opfern von Unfällen gesprochen, in Industrie und Landwirtschaft, und er hatte eine ganze Menge Schlimmeres zu sehen bekommen. Es beschränkte sich auf eine Hälfte ihres Gesichts. Es war durch dünnes, leuchtend rotes Narbengewebe entstellt, und Wimpern und Augenbraue fehlten. Die andere Hälfte war bezaubernd. Sie war bezaubernd. Das Narbengewebe machte überhaupt nichts aus. Er wollte es ihr sagen, doch er rechnete klugerweise damit, dass sie es nicht positiv aufnehmen würde. Also sagte er nur höflich:
»Ich hatte mir bereits gedacht, dass etwas in der Art der Grund sein könnte.« Das Fehlen jeglicher Reaktion auf seiner Seite überraschte sie. Sie starrte ihn für einen Augenblick an, dann hob sie die Hand, um den Schleier wieder an der Haube zu befestigen.
»Nein!«, sagte Stanley scharf. Sie zögerte, überrascht von der Vehemenz in seiner Stimme, und blickte ihn mit fragenden Augen an.
»Warum nicht?«
»Warum sollten Sie?«, entgegnete er.
»Die Leute starren mich an!« Es brach aus ihr hervor, wütend.
»Die Leute starren Sie so oder so an, so verhängt mit dem Schleier, wie Sie es sind.« Einen unsicheren Augenblick lang fürchtete er, zu weit gegangen zu sein und dass sie in Tränen ausbrechen könnte. Doch sie war aus härterem Holz geschnitzt.
»Das ist ja wohl kaum Ihr Problem, Mr. Huxtable! Einen Guten Tag noch!« Jetzt war sie wütend auf Stanley.
»Ich sage Ihnen was«, schlug Stanley vor, ohne auf ihre Worte und ihren Zorn einzugehen.
»Ich werde Sie bis nach Hause begleiten, dann müssen Sie diesen Schleier nicht vor das Gesicht ziehen.« Jetzt bemerkte er Panik in ihren Augen.
»O nein! Das kann ich nicht! Ich kann unmöglich durch ganz Bamford laufen, ohne …«
»Doch, das können Sie«, beharrte Stanley mit sanftem Nachdruck.
»Weil ich bei Ihnen bin. Und wenn jemand Sie anstarrt, dann bekommt er es mit mir zu tun, verlassen Sie sich darauf! Und jetzt kommen Sie.« Er hob den Korb vom Boden auf und bot ihr den freien Arm. Nach kurzem Zögern hakte sie sich ein. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Sie redete als Erste wieder.
»Ihre Arbeit ist bestimmt sehr interessant, stelle ich mir vor.«
»Manchmal ist sie interessant und manchmal nicht. In Bamford passiert normalerweise nicht viel.« Stanley seufzte.
»Ich schreibe über Schafdiebe oder irgendeinen Rumtreiber, der Wäsche in irgendwelchen Gärten von der Leine stiehlt.«
»Sie wünschen sich doch etwa nicht, dass Bamford ein Nest voller Krimineller wird? Mein Vater arbeitet sehr hart, um das zu verhindern!«
»O ja, und Ihr Vater leistet verdammt gute Arbeit«, stimmte Stanley ihr zu.
»Leider hilft mir das nicht. Und nein, selbstverständlich möchte ich nicht, dass Bamford ein Nest voller Krimineller wird, ganz bestimmt nicht. Höchstens hin und wieder mal ein
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