Mord zur Bescherung
Stechpalmenzweigen umgeben, scheinbar mitten in derLuft schwebte, ihr ganz besonderes Interesse erregt. Dabei war das Fenster außerordentlich langweilig. Sterbenslangweilig. Die Aktentasche bekam höchstens vier von zehn möglichen Punkten auf der Geschenkeskala.
»So ein Ding würde ich niemals benutzen«, kommentierte Doherty. »Du brauchst mir also keines zu kaufen.«
»Hatte ich auch nicht vor. Wie wäre es mit Socken?«
»Aber nur, wenn keine Schneemänner drauf sind und sie nicht bei jedem Schritt bimmeln.«
Honey hielt die Luft an, als wäre das genau das Geschenk gewesen, an das sie gedacht hatte. »Aber, Steve, die wären unbedingt dein Stil!«
Mit diesem Unsinn wollte sie ihn ablenken, sie wollte im Augenblick nicht über die Verlobung reden. Sie hasste es, sich wie ein alberner Teenager zu fühlen. Ein alberner Teenager, der Gewissensbisse hatte. Sie hatte einfach Angst, mit anderen über ihre Absichten zu sprechen, sich zu binden. Allerdings war sie über vierzig, sogar über vierundvierzig, keineswegs ein alberner Teenager, auch wenn sie sich so vorkam. Das musste aufhören.
Doherty verursachte ihr Gewissensbisse. Lindsey verursachte ihr Gewissensbisse. Der Feigling in ihr kam wieder voll zum Vorschein. Wenn gar nichts hilft, lass dir eine glaubhafte Entschuldigung einfallen.
»Hör mal, jetzt ist wirklich die falsche Zeit, mich um so was zu bitten. Im Restaurant ist für heute eine große Gruppe angemeldet, Gott sei Dank die letzte wirklich große Büroweihnachtsfeier. Und zu allem Überfluss sehe ich auch nicht gerade besonders aus. Mary Jane hat mir die Haare gefärbt …«
»Mary Jane kann so was doch gar nicht.«
»Das weiß ich. Und du weißt das auch. Du hast die Farbe ja schon gesehen.«
»Und?«
»Ich hatte es eilig. Selbst wenn nicht alles ganz schrecklich schiefgegangen wäre, wäre es nicht meine Farbe gewesen. Nicht die, die ich haben wollte.«
»Ganz eindeutig ist es nicht deine Farbe. Die gehört eher zu Coco dem Clown.«
Doherty hatte beim Anblick ihrer neuen Haarfarbe um Fassung gerungen und dann gleich gefragt, ob sie nicht zufällig eine Perücke besaß.
»Ich würde mich sehr viel wohler fühlen, wenn ich unsere Verlobung mit einer normalen Haarfarbe verkünden könnte.«
»Ich will ja nicht behaupten, dass diese Farbe besonders gut für dein Selbstbewusstsein ist, aber sei doch mal ehrlich: Das sind alles Ausflüchte.«
Er hatte natürlich recht. Ein Bergtroll hätte sich über ihre Haarfarbe gefreut. Der Haarige Wilde Mann von Borneo wäre vielleicht vor dem schrillen Kupferton zurückgeschreckt, aber insgesamt mit der zotteligen Frisur recht zufrieden gewesen, die im Augenblick nicht zu bändigen war.
Doherty hatte ihr einen Ring geschenkt – den sie nicht trug. Er hatte sie gebeten, ihn zu heiraten. Bisher gab es noch keinen Termin für die Hochzeit, denn sie hatte gesagt, sie müsse das erst mit Lindsey besprechen. Genau das war das Problem. Sie brachte einfach nicht den Mut auf, es ihrer Tochter zu beichten – na ja, jedenfalls jetzt nicht.
Mutter und Tochter hatten im Laufe der Jahre natürlich über eine solche Möglichkeit sehr vernünftig und wie Erwachsene gesprochen. Doch damals war dieser Gedanke nur ein Phantasiegespinst und nicht Wirklichkeit gewesen. Jetzt war alles anders, und das war das Problem, ein echtes Problem.
»Ich sag dir was, ich erzähle es ihr Weihnachten. Dann bist du ja auch da, nicht?«
»Honey, du hast überhaupt kein Rückgrat.«
»Stimmt, aber sonst habe ich einiges zu bieten.«
»Ist mir auch schon aufgefallen.«
Was er sich zu Weihnachten wünschte, war kein Geheimnis. »Gut, dann machen wir es am ersten Feiertag. Ich werde dich an dein Versprechen erinnern.«
Als Honey wieder ins Green River Hotel zurückkehrte, war ihre Nase rosig vor Kälte. Wegen der Reservierungen fürs nächste Jahr machte sie sich große Sorgen. Es gab jedoch noch jede Menge andere Probleme, die sie lösen musste, so dass sie wirklich den Kopf voll hatte.
Lindsey zu beichten, dass Doherty ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte, das musste erst einmal warten. Sie redete sich ein, dass sie ihr das irgendwann, wenn der passende Zeitpunkt gekommen war, schon sagen würde. Manche Leute würden das als Feigheit auslegen. Die hatten natürlich recht.
In Bath war sehr viel los. Im Green River Hotel auch.
Bereits seit Anfang Dezember fand eine Firmenweihnachtsfeier nach der anderen statt. Dazu kamen noch Leute, die ihre Verwandten besuchten, Leute, die
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