Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord zur Bescherung

Mord zur Bescherung

Titel: Mord zur Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean G. Goodhind
Vom Netzwerk:
am Empfang arbeiteten –, konnte Lindsey leicht ihre Aufgabe für den Chefkoch erledigen, ohne dabei beobachtet zu werden.
    In dem Fach vor ihr, das nur von ihrer Seite aus zugänglich war, verbargen sich allerlei Dinge: Papiere, Stifte und rasch hingekritzelte Notizen für Lieferungen, die Überprüfung der Sicherheitsbestimmungen und Nachschub für Einwegpapier, mit anderen Worten: Toilettenpapier.
    Mary Jane, der einzige Dauergast im Hotel, war auch von Kopf bis Fuß auf Weihnachten eingestellt. Sie wetteiferte mit der Weihnachtsdekoration, hauptsächlich weil sie sich heute in ein rotes, wattiertes Ensemble gekleidet hatte, mit dem sie doppelt so breit aussah, wie sie eigentlich war. Das Ensemble lief unter der Bezeichnung »Hausanzug« und war aus einem glänzenden, samtähnlichen Nickistoff. Der Mantel, den Mary Jane darüber trug, besaß große Ähnlichkeit mit einer Patchwork-Tagesdecke. Mary Jane war eine begeisterte Anhängerin des Recyclings.
    »Ich gehe jetzt ein bisschen auf dem Weihnachtsmarkt einkaufen«, verkündete sie, und ihre Stimme war lauter als sonst, vielleicht, weil sie mit den Jahren immer schwerhöriger wurde. Sie war weit über siebzig, vielleicht sogar über achtzig, obwohl sie das niemals zugeben würde.
    Zurzeit wurde ihr das Hören allerdings noch dadurch erschwert, dass sie flauschige weiße Ohrwärmer in Form von Hasenohren trug. »Ich liebe einfach diese altmodische Atmosphäre mit all den kleinen Läden in den schmalen Gassen, du nicht auch?«, fuhr sie begeistert fort.
    Als sie keine Antwort bekam und auch Lindseys vager Gesichtsausdruck sie nicht schlauer machte, fragte sie nach einer Weile: »Stimmt was nicht, Schätzchen? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
    »Na ja«, antwortete Lindsey. »Es ist ja jetzt die richtige Jahreszeit dafür, nicht wahr? Die Zeit, in der die Gespenster aus der Vergangenheit wieder auftauchen – auch wenn man das gar nicht will.«
    Mary Jane zog einen Ohrwärmer ein wenig vom Ohr weg, um deutlicher hören zu können.
    »Wenn du von Gespenstergeschichten sprichst, da habe ich gerade ein Plakat ans Schwarze Brett gehängt. ›Gruselige Geschichten zur Weihnacht‹. Ein paar Freunde und ich, wir werden im Aufenthaltsraum am ersten Feiertag Geistergeschichten lesen oder erzählen. Wir könnten das am zweiten Feiertag noch einmal wiederholen. Boxing Day, wie ihr Briten das nennt, wenn ihr zu Ende geboxt habt.«
    Der Schatten eines Lächelns huschte über Lindseys Gesicht. »Historisch gesehen hat der Boxing Day rein gar nichts mit Boxen zu tun. Es war immer der Tag nach dem ersten Feiertag, wenn der Gutsherr Geschenke, Münzen und andere Dinge in eine Kiste, also eine Box, legte, um sich bei seinen Lehnsleuten und Bediensteten zu bedanken. Die Geschenke wurden dann unter den Leuten aufgeteilt.«
    Mary Jane zog ihre dünnen Augenbrauen in die Höhe, die aussahen, als hätte sie sie mit einem Bleistift gezogen. Sie war offenkundig überrascht, und die Sache interessierte sie.
    »Ach wirklich? Sir Cedric hat das bestimmt gemacht, da bin ich sicher. Er war sehr großzügig mit seinen Gunstbezeigungen.«
    »Habe ich auch schon gehört«, murmelte Lindsey.
    Nach allem, was sie selbst wusste und was Mary Jane ihrmitgeteilt hatte, war Sir Cedric ein ziemlicher Schürzenjäger gewesen, was, der Legende zufolge, zu seinem frühen Tod beigetragen hatte. Pistolen im Morgengrauen. Sein letztes Duell war sein Tod gewesen. Er war nur verwundet worden und hatte es noch bis zum Hotel zurückgeschafft – das damals natürlich noch kein Hotel, sondern sein Stadthaus war. Sein Gegner, der betrogene Ehemann, war ihm gefolgt und hatte ihm mit einem Messing-Schürhaken den Rest gegeben. Schändlich, aber wohlverdient.
    »Entschuldigung, Miss.«
    Diesmal schaute sie in ein asiatisches Gesicht. Der Mann hatte einen bleistiftdünnen Bart am Kinn und trug in einem Ohr einen goldenen Ring.
    »Taxi. Sie haben einen Fahrgast, der zur St. Michael’s Church möchte?«
    Lindsey schaute ihn verständnislos an, rang sich aber ein Lächeln ab. Einen Augenblick lang dachte sie, dass einer der Gäste ein Taxi bestellt und sie es vergessen hatte. Aber das konnte nicht sein. Einige Gäste der Büroweihnachtsfeier hatten die Befragung durch die Polizei bereits hinter sich und waren schon weg, und die Leute, die das Weihnachtspaket gebucht hatten – das Pauschalangebot mit Unterkunft, Essen und weihnachtlichen Festlichkeiten –, waren noch nicht eingetroffen. Die Gruppe

Weitere Kostenlose Bücher