Mord zur Bescherung
Staubsaugers hüllten sie ein, so dass sie die Welt ringsum nicht wahrnahm.
Da legte sich eine Hand auf ihre Schulter.
Der Staubsauger schoss nach vorn. Ein Blumenständer wackelte, und eine blauweiße chinesische Vase kippte zur Seite.
Honey fluchte laut, als die Vase in ihren Armen landete. Die Kopfhörer zerrten an ihren Ohren, die Schnur wickelte sich ihr fest um den Hals, und schließlich hing sie ihr schlaff auf den Schultern.
»Es tut mir so leid, Mrs. Driver. Bitte lassen Sie mich Ihnen das abnehmen. Die Vase ist nicht kaputt, oder? Nein. Ich kann sehen, dass sie makellos ist – wie die Besitzerin«, fügte er hinzu, und seine Stimme war so aalglatt wie sein Aussehen und die weißen Zähne in der gesunden Bräune seines Gesichts.
Sie zerrte sich den Hut mit beiden Händen fester auf den Kopf und holte tief Luft.
»Professor Truebody! Sie sollten sich wirklich nicht so anschleichen!«
Er zeigte nicht die geringste Spur von Reue – eher Belustigung. Eine Seite seines Mundes verzog sich zu einem teils zynischen, teils triumphierenden Lächeln.
»Es tut mir leid. Schauen Sie, ich wollte Sie nur bitten, Ihrer Tochter, wenn Sie sie sehen, auszurichten, dass es bei unserer Verabredung bleibt.«
»Lindsey?«
»Eine reizende junge Frau, Ihre Lindsey. Genau wie ihrVater. So ein netter Kerl. Soll ich die für Sie wieder hinstellen?«
Als netten Kerl hätte Honey ihren verstorbenen Mann nun wirklich nicht bezeichnet. Manchmal fragte sie sich, was sie je an ihm gefunden hatte. Aber sie war sehr jung gewesen. Ihre Jugend war an einigem schuld.
Sie sagte sich, dass sie sich nichts vergeben würde, wenn sie höflich wäre, und rang sich ein Lächeln ab, das so gezwungen war, dass sie es wohl nicht lange aufrechterhalten konnte.
»Ja, bitte machen Sie das«, antwortete sie auf sein Angebot, die Vase zurückzustellen. Sie reichte sie ihm und schaute ihm zu, wie er sie wieder auf den Sockel hievte. Professor Jake Truebody hatte eine gute Figur – recht athletisch für einen Geschichtsprofessor –, und er bewegte sich auch eher wie ein Sportler als wie ein Mann, der Bücher las und sich mit längst vergangenen Dingen beschäftigte. Carl hatte sich genauso bewegt.
»Segeln Sie, Professor?«
Er fuhr herum und schien von dieser Frage völlig überrascht zu sein.
»Nein. Ich mag Wasser nicht besonders.« Sie schaute seinen braunen Teint an. Irgendwie wirkte der ziemlich künstlich.
»Das ist bei Leuten aus Maine recht ungewöhnlich, oder nicht? Ich dachte, die sind alle verrückt auf Wasser.«
»Nur die, die in Strandnähe wohnen.«
Er wirkte aalglatt und lässig. Honey überlegte, dass er damit wahrscheinlich die Damen mühelos herumkriegte. Das Problem war nur, dass er sich mit Lindsey verabredet hatte, dass er seinen Charme bei Lindsey spielen lassen wollte.
»Wo wollen Sie denn heute mit meiner Tochter hin?« Sie versuchte, das so leichthin wie möglich zu fragen. Die Sorge,dass dieser Mann vielleicht vorhatte, ihre Tochter zu umgarnen, saß ihr im Nacken.
»Sehenswürdigkeiten anschauen. Es ist wohl das Beste, wenn ich mich aus all dem Trubel hier heraushalte.« Er deutete mit dem Kinn in Richtung Bar. »Haben Sie eine Ahnung, wann die da drinnen fertig sind? Es ist mir klar, dass das nötig ist, aber es stört doch ein bisschen. Ich möchte diesen Leuten lieber nicht in die Quere kommen.«
Honey wusste genau, dass zunächst nur die Personalien – Namen und Adressen – aufgenommen, sehr allgemeine Fragen gestellt und die Alibis abgefragt würden. Die richtigen Verhöre würden erst im Revier in der Manvers Street geführt werden. Sie erklärte ihm das und fügte hinzu: »Ich denke nicht, dass es allzu lange dauern wird. Zwei Stunden vielleicht, mehr nicht.«
»Trotzdem … Es gibt ja in Bath noch so viel zu entdecken.«
Solange du nicht auch meine Lindsey entdecken willst, dachte Honey im Stillen. Mütter sollten sich nicht einmischen, und sie hatte das auch nie getan. Sie hatte Lindsey immer ihre Probleme selbst lösen lassen und gab ihr nur gute Ratschläge, wenn sie darum gebeten wurde. Ganz anders als Honeys Mutter, die keine Ratschläge gab, sondern Befehle erteilte.
Truebody jedoch war ein Hotelgast. Da musste sie höflich bleiben.
»Es ist eine Morduntersuchung, Herr Professor. Da muss ich Sie leider um Verständnis bitten.«
»Natürlich.« Sein Lächeln blieb unverändert, aber in seine haselnussbraunen Augen war ein forschender Blick getreten. Dieser Mann, das war ihr klar, versuchte,
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