Mord zur Bescherung
niemanden daran hindern, ein Zimmer zu nehmen, eine schnelle Nummer zu schieben und gleich wieder auszuchecken.
Auf dem Nachhauseweg ging Honey noch bei der Bank vorbei und erzählte dem Filialleiter eine traurige Geschichte über die Reservierungen in ihrem Hotel für das nächste Jahr. Das hätte sie lieber nicht tun sollen. Sein Gesicht wurde plötzlich sehr besorgt, so dass Honey rasch zurückruderte.
»Aber wir haben von anderer Seite einige gute neue Kunden gewonnen. Eine große Finanzfirma – Equity-Broker – wird im nächsten Jahr regelmäßig Konferenzen bei uns abhalten, ehe sie in andere Räumlichkeiten zieht.«
Equity-Broker? Was um alles in der Welt machen die, und wie war sie bloß auf dieses Wort gekommen?
Vielleicht lag es daran, dass Weihnachten vor der Tür stand, vielleicht gab es Equity-Broker ja auch wirklich, jedenfalls war der Filialleiter außerordentlich beeindruckt. Honey schwor sich, zu Hause sofort nachzuschauen, was Equity-Broker waren.
Weil sie fürchtete, man könnte ihrer Lüge auf die Spur kommen, verließ sie die Bank recht schnell. Auf dem Heimweg ging sie wieder an einigen Rentieren vorüber. Es gab Rentiere mit Flügeln, Rentiere mit verrückten Farbwirbeln in Lila und Rosa, Rentiere mit Zebrastreifen und eines mit goldenem Geweih und dem schwungvollen Schriftzug »Harrods« auf der Seite. Alle hatten ausnahmslos große rote Plastiknasen.
Normalerweise hätten nun städtische Angestellte versucht, diese Nasen, an denen fast alle solchen Anstoß nahmen, mit irgendwelchen Lösungsmitteln zu entfernen. Heute jedoch nicht. Selbst städtische Angestellte hatten so kurz vor Weihnachten etwas anderes zu tun.
Als Honey zum Green River Hotel zurückkam, wartete Steve Doherty draußen auf sie und hatte die Ellbogen in cooler Pose auf das Dach seines Autos gestützt. Er wirkte gelassen und völlig unaufgeregt. Offensichtlich war er noch nicht lange da.
Sie küsste ihn auf die Wange. Er roch nach Rasierwasser, was seltsam war, da er sich nicht rasiert hatte. Seine Bartstoppeln waren weich, in der Länge zwischen »unrasiert« und »haariger Bär«.
Honey hakte sich bei ihm unter. »Hast du meine Nachricht bekommen?«
»Über den Frisörsalon im Gebäude gegenüber von Mallory und Scrimshaw? Ja, habe ich bekommen.«
»Vielleicht ist es nichts Besonderes, aber es könnte doch was sein. Die Chefin war völlig durcheinander.«
Er zuckte die Achseln. »Es könnte einfach bedeuten, dass sie findet, ihr Personal sollte das Geplauder beim Frisieren auf die üblichen Themen beschränken: das Wetter, Gehen Sie heute einkaufen?, oder: Wohin fahren Sie dieses Jahr in den Urlaub?«
»Du scheinst einige Frisöre zu kennen?«
»Ich kenne einige Frauen. Und ich habe mehr als eines deiner Gespräche mit angehört.«
Honey konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Doherty hatte ziemlich schlichte Ansichten über Frauen. Er mochte sie traditionell. Er mochte es, wenn sie stark, aber feminin waren.
Jetzt hakte er einen Finger vorn unter ihren Hut, hob ihn ein wenig an und schaute auf das Haar darunter.
»Jawohl. Sieht gut aus. Dieser Frisöse könnte ich einiges verzeihen.«
»Ich war auf dem Weg hierher noch bei der Bank.«
»Und ich dachte, du hast dich für mich so schick angezogen.«
»Es lohnt sich immer, wenn ich mir für einen der wichtigsten Menschen in meinem Leben ein wenig Mühe gebe.«
Das war kein Witz. Honey freute sich auf die Besuche bei der Bank etwa so wie auf einen Besuch beim Zahnarzt. Den Zahnarzt musste sie allerdings nicht beeindrucken, aber bei der Bank war es ungeheuer wichtig, den bestmöglichen Auftritt hinzulegen. Der Zahnarzt war freundlich und bemühte sich redlich, dem Patienten Schmerzen zu ersparen. Bankangestelltesahen das nicht ganz so barmherzig. Also hatte sich Honey herausgeputzt, um Eindruck zu schinden. Daran war ihre Mutter schuld.
»Trage stets saubere Unterwäsche und die teuerste Kleidung, die du dir leisten kannst. Du musst von Kopf bis Fuß einen wohlhabenden Eindruck machen, dann bekommst du immer, was du willst«, hatte Gloria ihr geraten.
Weil ihr eine Erhöhung ihres Dispokredits vor Augen schwebte, hatte sie sich also in ein Lambswool-Kleid von Artigiano gezwängt. Es wölbten sich zwar ein paar Pölsterchen unter dem enganliegenden Stoff, aber die graurote Jacke, die sie darüber trug, kaschierte ihre Hüften hervorragend.
Halb wollte sie sich schon eingestehen, dass der Ratschlag ihrer Mutter funktioniert haben könnte. Insgesamt war
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