Mord zur Bescherung
hellrosa geschminkten Lippen, als müsste sie erst noch eine Antwort hinunterschlucken, die ihr auf der Zunge lag.
»Sind die schon hier gewesen und haben Fragen gestellt?«, erkundigte sich Honey.
»Saudumme Fragen. Als hätte jemand von uns was gesehen. Um diese Jahreszeit haben wir alle Hände voll zu tun, und außerdem ist unsere Arbeit hochkompliziert. Eine Stylistin muss sich unbedingt zu hundert Prozent auf das konzentrieren, was sie macht.«
»Dann sollte ich Ihnen wirklich dankbar sein, dass Sie mich noch dazwischenschieben konnten. Aber andererseits, Sie sind ja noch recht neu hier, und irgendwie liegt der Salon ein wenig versteckt und weitab vom Schuss. Da kann es gar nicht leicht sein, sich einen Kundenstamm aufzubauen.«
Sofort erkannte sie an Ariadnes trotzig in die Höhe gereckter Nase, dass jetzt nicht nur der Ton eisig werden würde.
»Wir haben seit der Eröffnung hier durchgehend sehr viel zu tun, danke der Nachfrage! Ich konnte Sie nur dazwischenschieben, weil jemand kurzfristig abgesagt hat.«
Honey verzog das Gesicht, während die silberne Alufolie unsanft von einer Haarsträhne gepellt wurde, Ariadne erneut mit scharfem Blick die Farbe kontrollierte und sie wieder einpackte.
»Bin ich fertig?«
»Was mich betrifft, ja. Ich schicke Ihnen in ein paar Minuten einen Lehrling. Tallulah kann Sie weiter bedienen.«
Die Räder an Honeys Stuhl und am Haartrockner quietschten, als sie noch näher ans Fenster geschoben wurde.
War sie überempfindlich, oder hatte man sie absichtlich mit dem Rücken zum restlichen Salon platziert – wie ein unartiges Schulmädchen, das in der Ecke stehen muss?
Ruhig Blut! Konzentriere dich auf deine Aufgabe.
Ariadnes brüskes Verhalten schockierte Honey ein wenig. Frisöre waren doch sonst, genau wie Leute aus dem Hotelfach, im Umgang mit ihren Kunden stets höflich. Nichts als Freundlichkeit und Nettigkeit im Kontakt mit der Öffentlichkeit, übergestreift wie wattierte Schutzkleidung. Sobald man zu Hause und im trauten Kreis der Familie war, legte man diese Hülle sofort ab. Gewöhnlich war es jedenfalls so. In Ariadnes Fall war dieser Schutz gar nicht erst zum Einsatz gekommen. Nehmen Sie mich, wie ich bin. Und wenn nicht, dann haben Sie eben Pech gehabt!
Honey starrte auf die hell erleuchteten Fenster im gegenüberliegenden Gebäude. Sie saß in einem Erker, der wie ein Türmchen ein wenig aus dem Gebäude vorsprang.
Sie schaute sich um. Eine Frau, die vor dem nächsten Fenster Platz genommen hatte und deren Kopf genau wie ihrer in Alufolie eingewickelt war, warf ihr ein aufmunterndes Lächeln zu.
Die Minuten verrannen. Inzwischen war die Aussicht auch sehr viel interessanter geworden.
Doherty stand am Fenster, die Hände auf die Fensterbank gestützt. Er schaute auf den Innenhof hinunter, sein Blick wanderte von rechts nach links, dann nach oben und, was viel schlimmer war, in ihre Richtung.
Sie liebte ihn von ganzem Herzen, aber sie wollte doch nicht, dass er sie so sah – ohne Haare oder vielmehr mit Folie abgedeckt wie ein Huhn, das nächstens in die Bratröhre geschoben wird. Sie sackte in ihrem Stuhl ein wenig tiefer,streckte die Beine vor sich aus, rutschte noch weiter herunter, als er sich den Hals zu verrenken schien, weil er sie anscheinend bemerkt hatte.
Leider hatte sie nicht gesehen, dass das Kabel des Trockenmonsters an einem ihrer Absätze hängengeblieben war. Der Trockner bewegte sich nach vorn, das mittlere Element kippte vor, und die hellrote Heizspirale landete auf Honeys Kopf.
Es roch verbrannt.
»Meine Haare!«, kreischte Honey.
»Die brennt gleich! Die brennt gleich!«, rief die Auszubildende, der man den Auftrag gegeben hatte, sich um Honey zu kümmern. Chaos brach aus.
Eine Frau in der Nähe wurde gerade geföhnt. Sie sprang von ihrem Stuhl auf. Eine andere wirbelte so abrupt auf ihrem Stuhl herum, dass die Frisörin mitsamt der Bürste in die Umlaufbahn katapultiert wurde.
Sogar die hochnäsige Ariadne verlor kurz ihre coole Überlegenheit, bekam sich aber schnell genug wieder in den Griff, dass sie dem hysterischen Lehrling zuschreien konnte, sie sollte das Maul halten.
Honey hatte sich unter dem Heizelement weggeduckt und hockte auf dem Boden. Sie bekam von allen Seiten Zuspruch und gute Ratschläge.
»Sie könnten die verklagen«, schlug eine Dame vor, deren Taille knapp unter dem Busen war und deren umfangreicher Bauch bequem auf ihren Oberschenkeln ruhte.
Bei der Erwähnung rechtlicher Schritte zeichnete sich
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