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Mord

Mord

Titel: Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Ludwig Kröber
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widerfuhr. Fuhrmann überlegte hinterher, warum er das gesagt hatte, fragte sich, ob er sie ängstigen oder trösten wollte; natürlich hatte er nicht im Mindesten vor, sich noch ein weiteres Problem ins Haus zu holen. Obwohl es gewiss etwas anderes wäre, Sex mit zwei Frauen zu haben, in wechselnden Rollen. Diese Phantasien richteten ihn kurzfristig wieder auf.
    Doch dann war er zunehmend deprimiert, die Stimmung kippte, schon nach zwei Wochen erzählte er ihr von seiner Mutter. Die Frau ließ sich auch nicht umwidmen von der Sklavin zur Partnerin, das war ja noch unmöglicher, was für eine Perspektive sollte das eigentlich haben – dass sie irgendwann hier rausspazieren, ins Auto steigen und zum Standesamt fahren? Ja, dachte Fuhrmann, das wäre die einzige Perspektive. Mutti würde es nicht mehr mitbekommen, wahrscheinlich wäre sie dann schon tot. Aber er wusste zugleich, dass das alles unsinnig war, nie würde diese Frau freiwillig bei ihm bleiben, all seine Gewalt und Misshandlung verschweigen. Er würde weitermachen, natürlich, heute wie gestern und morgen wie heute, und er würde Sex mit ihr haben. Es gab keinen Ausweg. Oder nur einen gewaltsamen: Einer von ihnen beiden musste sterben.
    Einfach weitermachen wie bisher, das war die Lösung. Aber dann kam er unter Zeitdruck. Eigentlich leichtsinnig hatte er im Stadtzentrum in einer Apotheke, in der ihn niemand kennen konnte, einen Schwangerschaftstest gekauft. Es war nur so eine Idee gewesen, wie das Vermessen ihres Körpers bei der Eingangsuntersuchung, ein weiterer Vorwand, sich mit ihrem Leib zu beschäftigen, ein Doktorspiel. Sie musste Urin abgeben, den Rest machte er allein in der Küche, strikt nach Gebrauchsanweisung. Er las noch mal nach, aber das Ergebnis war eindeutig: positiv.
     
    Am 43 . Tag ihrer Gefangenschaft vermerkte Iris in ihrem Tagebuch: «Er ist im Moment wieder sehr bedrückt.» Zwei Tage später kam Fuhrmann wie immer morgens um 7  Uhr  30 herunter, holte sie hoch zum Frühstück in die Küche, brachte sie danach wieder nach unten. Er sagte: «Iris, ich habe heute zu tun»; zum Mittagessen sei er aber wieder da. Als er sich gegen 8  Uhr  30 im Keller bei ihr verabschiedete, fiel ihr auf, wie müde er wirkte, sehr still, bedrückt. «Wiedersehen, Iris», sagte er. Er hatte sie noch nie mit ihrem Vornamen angeredet. Zum ersten Mal fesselte er sie nicht, obwohl er das Haus verließ. Hinter ihm fiel die Stahltür ins Schloss, die auf ihrer Seite nur einen Knauf hatte, den man nicht drehen konnte, und ein Schloss ohne Schlüssel. Sie war ungefesselt, aber wie immer sicher eingeschlossen, in einem schallgeschützten, fensterlosen Keller unterm Keller, von dem kaum einer wusste.
     
    Der Schäferhund schaute enttäuscht und fiepte etwas, als Fuhrmann die Haustür hinter sich schloss und den Hund daheim ließ. Er fuhr zur Uniklinik, parkte an der Liebigstraße, lief ins Gelände und Richtung Schlaganfall-Station. Es wurde Frühling, manche Büsche waren schon richtig grün, gelbe Farbkleckse von Forsythien und Osterglocken leuchteten neben den Brettern und Rohren der Gerüstbauer, und dazwischen ging geraden ruhigen Schrittes Gerd Fuhrmann in seinem grauen Anorak und seiner grauen Hose zu seiner Mutter.
    Auf der Station musste er sich erst erkundigen, sie war in ein anderes Zimmer verlegt worden. Neben ihr in einem zweiten Bett lag eine sehr alte, sehr faltige Frau auf der Seite, die mit geschlossenen Augen rasselnd atmete und nicht darauf reagierte, als Fuhrmann eintrat. Ein drittes Bett war leer, nur das Gestell und eine nackte Matratze. Seine Mutter lag wie immer auf dem Rücken, das Kopfteil leicht angehoben, und starrte geradeaus ins Leere; in diesem Zimmer gab es keine Fernsehschirme. Der Mund war leicht geöffnet, sie hatte noch fast alle Zähne. Er dachte, sie sieht majestätisch aus, trotz allem, sie ist meine Herrin. Wie hätte ich ohne sie leben sollen? Und zugleich zürnte er ihr, dass sie so dalag und sich nicht rührte, seit Wochen nicht, und immer weniger wurde. Sie würde sterben, das war ihm klar, bald sterben. Dann halt sterben, bald sterben, und es ist wieder alles in Ordnung.
    Er lauschte, ob jemand kam, draußen auf dem Flur, dann beugte er sich über das Bett und legte vorsichtig seinen Kopf auf die Bettdecke, zwischen die Hände seiner Mutter, die ihn nicht berührten. So hielt er eine Minute inne, richtete sich auf, drehte sich um und ging zur Tür und auf den Flur, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er ging zu

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