Mord
irgendwie neben dem Keller, in der Tiefe neben dem Haus oder unter dem Haus. Sie schrien, dass sie gehört hatten und dass sie Hilfe holten. Sie riefen die Polizei an, die bald darauf vor dem Grundstück erschien, obwohl Feiertag war. Die Polizisten tasteten die Holzvertäfelungen des Kellers ab und fanden eine geschickt getarnte Tür. Als sie die Tür öffneten, hockte vor ihnen eine wimmernde Frau. Der Schäferhund lief an ihnen vorbei, stieß die junge Frau mit der Schnauze an und wedelte zurückhaltend mit der Rute.
Ein Polizist bot der jungen Frau an, sie hinaufzutragen in die Wohnung. Inzwischen war auch ein Krankenwagen eingetroffen. Aber Iris stand alleine auf, ging alleine hoch, die erste Treppe, die zweite Treppe, und dann war sie schon mit der Hand an der Haustür. Sie öffnete und stand draußen, auf der Schwelle. Sie schaute auf den Krankenwagen und in den blühenden Kirschbaum an diesem sonnigen Karfreitag. Dann musste sie sich doch hinsetzen, auf das kleine Mäuerchen neben der Tür. Es gab hier draußen, bis hoch hinauf in den Himmel, eine unglaubliche Menge von Luft, die sie fast umwarf.
Der Biss in die Brust
Wann genau er sich entschlossen hatte, seine Frau zu töten, wusste Gerwin Moss, als er nach 15 Jahren die Tat erstmals gestand, schon nicht mehr zu sagen. Es mochte zwei Jahre vorher gewesen sein, danach war ihm leichter zumute gewesen. Zeitweilig hatte er den Plan auch wieder aufgegeben, aber dann doch weiterverfolgt. Klar war ihm von vornherein, dass es nicht gerecht wäre, wenn er dafür lebenslang büßen müsste. Lebenslang war damals lebenslang, es sei denn, man wurde irgendwann begnadigt. Aber von Fällen der Begnadigung hörte man kaum. Er durfte verdächtigt, aber nicht überführt werden. Immerhin war er Diplom-Ingenieur, an präzises Arbeiten gewöhnt. Es musste und würde ein perfekter Mord sein.
Nachdem Gerwin Moss seinen Entschluss gefasst hatte, blieb ihm alle Zeit der Welt zur Vorbereitung. Das Leben floss gleichförmig dahin; was in der Welt passierte, Vietnam, die Studentenproteste, interessierte ihn kaum, obwohl er gerade erst das Studium beendet hatte. Die Frau kränkelte weiter, schlief viel, mit und ohne Schlaftabletten, und bedachte ihn, wie ihm schien, mit einer missmutigen und selbstmitleidigen Ablehnung. Dann wieder empfand er Mitleid mit ihr, sie war ja wirklich schwach, dünn, die blasse weiße Haut so durchscheinend, der Mund bitter. Er musste und wollte dem abhelfen.
So hatte sich ihm durch seinen perfekten Plan die Zukunft wieder geöffnet, und er arbeitete in geduldiger Erwartung in seiner kleinen Werkstatt, die er mit einer Rigipswand unter der Dachschräge vom Schlafzimmer abgetrennt hatte: vor der Wand im Ehebett die malade Gemahlin, hinter der Wand Gerwin, der mit Geduld und Präzision das selbstkonstruierte Tötungsgerät schuf und auch alles andere, was erforderlich sein würde. Eine saubere, praktische Dachgeschosswohnung in einem sauberen, weißen Dreifamilienhaus in einer sauberen, friedlichen Stadtrandsiedlung. Nachdem er das Studium beendet und eine Arbeit gefunden hatte, kündigte seine Frau umgehend den Schuldienst, versorgte nun, soweit es ihre Kräfte zuließen, den dreijährigen Sohn Torsten, der fünf Monate nach der Hochzeit geboren worden war und dessen Geburt den endgültigen Niedergang des ehelichen Sexuallebens einläutete. Nicht dass sie sich jedes Mal verweigert hätte, aber sie empfand, wie sie voller Schuldgefühle einer Freundin gestand, nichts mehr dabei.
Gerwin fuhr jeden Morgen zu seiner Arbeit im Ingenieurbüro eines Energiekonzerns. Dabei war er einmal in eine Polizeikontrolle geraten – mehrere schwerbewaffnete Spezialkräfte, die nach RAF -Terroristen fahndeten, umstellten sein Auto. Sie sahen rasch, dass er harmlos war. Am Arbeitsplatz wurde er als zurückhaltender, zuverlässiger und fleißiger Mitarbeiter geschätzt, der in der Firma keine Freundschaften pflegte und nicht von seinem Privatleben erzählte. Er war, das wusste man, ein Naturfreund. Die Frau teilte diese Vorliebe nicht, sie las; der Sohn war noch zu klein für Spaziergänge in raschem Tempo, aber ihn schien das Alleinsein beim Wandern keineswegs zu stören.
Angepasst hatte sich die Frau seinen etwas eigentümlichen Essgewohnheiten, vegetarisch, makrobiotisch, das Getreide wurde selbst gemahlen, nur mit Honig wurde gesüßt – bis sie wegen körperlicher Erschöpfung und offenkundiger Unterernährung drei Wochen im Krankenhaus behandelt werden musste.
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