Mord
dann habe er ja gleich eine kleine Familie.
Erst als Siegfried und Dilara heiraten wollten, kam heraus, dass sie illegal in Deutschland war. Er schaltete einen Rechtsanwalt ein, damit er sich darum kümmerte, machte Behördengänge. Dilaras ehemaliger Mann lebte auch in Kreuzberg und war gegen die Heirat. Es stellte sich heraus, dass auch ihre großen Söhne hier lebten, und von beiden wurde Siegfried bedroht, mit dem Tod. In Kurdistan lebte man erst zusammen, wenn man auch verheiratet war.
So kam es zu dem ersten Vorfall mit der Polizei, vor dem Haus der Tochter, in der Alten Jakobstraße. Das war gerade mal sechs Wochen nach Siegfrieds Entlassung aus Tegel. In der Wohnung der großen Tochter gab es eine Art Friedensverhandlung, er sprach mit den erwachsenen Söhnen und Töchtern seiner Freundin über die geplante Heirat. Es folgte eine heftige Diskussion, weil die Söhne dagegen waren. Vor dem Besuch hatte Siegfried, um sich zu beruhigen, Alkohol getrunken, trotz des Verbots und nicht wenig. Im Frust verließ er die Wohnung in der Alten Jakobstraße: Er hatte nichts erreicht, und seine Freundin hatte klein beigegeben. Als er merkte, dass das ganze Treffen nichts brachte, war er abrupt aufgestanden und mit einem Schimpfwort gegangen.
Er kam aus dem Hauseingang, ihm hinterher die jungen Kurden, die nach ihm riefen und gestikulierten. Er stand mit dem Rücken zum Bürgersteig und schimpfte zurück. Es war Winter, abends, dunkel. Plötzlich kam ein Radfahrer, von hinten, und Siegfried fuhr reflexartig den Arm aus, weil er dachte, er würde angegriffen. Mit der Faust traf er einen 14 -jährigen türkischen Jungen, der gegen ein Auto flog, sich aber zum Glück nicht verletzte. Siegfried verstand nicht, was das bedeuten sollte. In seiner Wut trat er gegen einen herumstehenden Einkaufswagen, der vor einen Opel Vectra knallte. Anschließend hob er den Einkaufswagen mit beiden Händen hoch und warf ihn auf das Auto. Als eine Frau aus dem Haus kam und zu Siegfried sagte, sie rufe jetzt die Polizei, sprach er die geflügelten Worte: «Ich kämpfe nur mit Männern und schlage keine Frauen.»
Dann stand ihm eine Aprilia im Weg, das Motorrad wurde umgeworfen, die Seitenverkleidung beschädigt. Er entdeckte auf der anderen Straßenseite eine Telefonzelle, schritt hinüber, betrat sie, warf ein Zwei-Euro-Stück ein und wählte die Nummer eines guten Kumpels, um mit diesem die Lage zu beraten. Aber schon vor dem Wählen war nichts zu hören, beim Wählen nicht und auch nicht danach: Das Scheißtelefon funktionierte nicht. Er drückte auf die Gabel, aber die zwei Euro kamen nicht wieder raus. Er haute mehrmals mit dem Hörer auf die Gabel und brüllte, dass er jetzt diese verdammten Euro aus dem verdammten Münzsprecher herausprügeln werde. Er drehte sich zur Seite und schlug den Hörer vor den Apparat, aber nichts tat sich. Vor der Telefonzelle hatten sich Leute versammelt und schauten dem tobenden Mann teils grinsend, teils ängstlich zu, bis die Polizei kam. Er hatte noch zwei Stunden später 1 , 74 Promille, gemessen, nicht geschätzt. Klarer Verstoß gegen Bewährungsauflagen – aber so was erfährt nicht automatisch der Bewährungshelfer, und der meldet es nicht automatisch ans Gericht, sondern hofft, dass es nur ein Ausrutscher war. Deswegen will man dem Mann ja nicht gleich die ganze Bewährung vermasseln – Ermahnung!
Das war das Ende von Siegfrieds Beziehung zu Dilara, aber er hat sie noch einmal getroffen. Als sie ihr Enkelkind morgens zur Schule brachte, wartete er auf sie, redete mit ihr, ob man es nicht noch mal versuchen solle. Aber sie wollte nicht, und sie musste dann auch ausreisen.
Siegfried hatte sich bemüht, das mit dem Alkohol im Griff zu behalten. Er war zu den Guttemplern gegangen. Doch wegen der Randale in der Alten Jakobstraße im Februar flog er bei denen wieder raus, obwohl er ja nur das eine Mal getrunken und gleich wieder aufgehört hatte. In Charlottenburg war er mal bei den Anonymen Alkoholikern gewesen, das hatte ihm nicht zugesagt. Dann war da so eine Wärmstube in der Kurfürstenstraße, die hatten woanders auch einen Gruppentreff. Dort ging er zweimal hin, aber das waren total fromme Veranstaltungen mit Kirchenliedersingen, das war nichts für ihn.
Solange er mit Dilara zusammen gewesen war, hatte er nichts getrunken, wirklich nicht. Aber danach fing er wieder an, ab und zu, wegen dem Stress. Das hatte alles viel Geld gekostet: Kosten für den Anwalt, für die Ämter, mit drei
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