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Mord

Mord

Titel: Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Ludwig Kröber
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schützen konnte. Dies alles steht hier so, wie Siegfried meint, dass es abgelaufen ist. Und damals meinte Siegfried, dass er eingreifen sollte, trotz des vorher getrunkenen Alkohols. Er nahm kurzerhand Hänschen in den Schwitzkasten und sagte: «Zwei auf einen ist feige.» Er schubste ihn in seine Zelle und ging selbst wieder auf den Flur. Da sei Hänschen doch tatsächlich wieder an ihm vorbei und habe Gunther wieder von hinten umklammert. Also habe er, so Siegfried, ein zweites Mal dazwischengehen und ihn wegziehen müssen. Diesmal habe er Hänschen nur ein Stück weggeschubst und gesagt: «Jetzt ist es aber gut!» Doch Hänschen sei wieder auf ihn zugekommen. Da habe Siegfried schließlich direkt mit der Faust zugeschlagen und ihn genau aufs Kinn getroffen. Das sei wie in Zeitlupe gewesen, Hänschen habe geguckt und sei nach hinten weggefallen, als wenn ihm die Beine weggezogen würden. Er fiel schräg nach hinten in die Verstrebungen des Laufgitters und blieb liegen. Alle stoben auseinander. Der Beamte kam angelaufen und stürzte sich auf Siegfried, der reflexartig seinen Arm ausfuhr und den Beamten am Kopf traf. «Nicht anfassen!», sagte er zu ihm.
    Kurz darauf wurde Siegfried provisorisch in eine naheliegende Zelle eingeschlossen, deren Einrichtung er zerstörte. Er bedrohte die Beamten und konnte erst nach Versprühen eines Feuerlöschers in der Zelle überwältigt werden. Ein Beamter sagte, Siegfried wäre mit Cowboystiefeln auf dem Kopf von Hänschen herumgesprungen. Siegfried sagte, er hätte noch nie Cowboystiefel gehabt, immer nur Turnschuhe. Hänschen Wendt überlebte mit schweren Hirnverletzungen, lag dreieinhalb Monate im Koma und wurde mit schweren Störungen zum Betreuungsfall. Das Urteil sprach von 1 , 3  Promille Alkohol und glaubte der Aussage des Beamten von den zusätzlichen Tritten. Mit Strafmilderung wegen Alkohol bekam Siegfried nur dreieinhalb Jahre für schwere Körperverletzung, dazu Sicherungsverwahrung.
    Allmähliche Reifung
    Siegfried war danach viele Jahre ein extrem schwieriger, unbelehrbarer, aggressiver Gefangener. In 20  Jahren wurden in seiner Gefangenen-Personalakte 8000  Seiten gefüllt, täglich mehr als eine Seite. Alles beherrschend war sein Jähzorn und seine Angst vor Gesichts- und Statusverlust. Als er eines Tages auch noch den Anstaltsschlüssel an sich nahm, brachte dies das Fass zum Überlaufen.
    Während einer Vollversammlung auf der Verschluss-Station hatte der Sozialarbeiter Merker seinen Schlüssel vor sich auf den Tisch gelegt. Als die Versammlung zu Ende war, ging Herr Merker raus und ließ versehentlich den Schlüssel liegen. Bevor er in schlechte Hände kam, steckte Siegfried ihn lieber grinsend ein. Für ihn war das ein Spaß. Nach einiger Zeit ging er zum Büro des Sozialarbeiters: Er wollte seinen Trumpf ausspielen. Er legte den Schlüssel vor sich auf den Tisch und deckte ihn ein wenig mit dem Pulloverärmel ab. Wie ein gefalteter Schrank mit seinen 1  Meter  90 und zwei Zentnern saß er da, mit unschuldsvoll gegenstandslosem Blick unter dem leicht verwuschelten Haar, und wartete, ob Merker von allein draufkam. Er fragte ihn, ob er nicht was vermisse. Der: Nee. Er fragte nochmals, Merker kam nicht drauf. Da hob Siegfried den Arm, sodass Merker den Schlüssel sehen konnte. Der Sozialarbeiter bekam weite Augen, griff sich den Schlüssel und ging anschließend gleich nach Hause.
    Merker machte keine Meldung, obwohl er dazu eigentlich verpflichtet gewesen wäre. Andere Gefangene hatten Siegfried vorher angesprochen, weil sie die Maße von dem Schlüssel haben wollten. Siegfried hatte gemeint, das wäre nicht nötig, er kenne die Maße sowieso. Nichts wäre passiert, er hätte dem Merker auch keinen reingewürgt, aber dann erzählten Mitgefangene ihren Anwälten von der Episode, und so kam die Information an die Senatsverwaltung für Justiz. Dann kam der Sicherheitsdienst und steckte Siegfried in Absonderung. Seine Zelle wurde durchsucht, ihm wurde vorgeworfen, er hätte 30  Gramm Drogen in den Schuhen, aber sie fanden nichts. Schließlich hieß es, er hätte hochgestellte Beamte erpresst, damit war der Sozialarbeiter gemeint. Er blieb fast ein Dreivierteljahr im Keller in der besonderen Sicherung, wieder einmal. Und dann, nicht als Strafe, sondern als letzte Chance, wurde er nach Celle verlegt.
     
    Das war die Wende, vielleicht, weil er dort nicht in der Pflicht stand, seinem schlechten Ruf gerecht zu werden. Die zwei Jahre in Celle liefen gut, seine

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