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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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Geschichten über seinen berüchtigten Patienten Harry Thaw ergötzte. Anscheinend lebte Thaw in der Anstalt, wo er eingesperrt war, wie ein König. Jelliffe ging sogar so weit zu sagen, dass er jederzeit mit Thaw tauschen würde. Ich entnahm diesen Bemerkungen vor allem, dass Jelliffe den Glanz, der auf ihn in seiner Eigenschaft als Thaws Psychiater abfiel, in vollen Zügen genoss. »Können Sie sich das vorstellen?«, fügte er hinzu. »Vor einem Jahr müssen wir ihm alle seine Unzurechnungsfähigkeit attestieren, damit er nicht wegen Mordes verurteilt wird. Und jetzt verlangt er, wir sollen ihn für zurechnungsfähig erklären, damit er aus der Anstalt rauskommt! Natürlich werden wir ihn rausholen!«
    Jelliffe lachte schallend, den Arm um Danas Schulter gelegt. Einige seiner Zuhörer lachten mit, Dana jedoch nicht. Alles in allem standen ungefähr ein Dutzend Gäste in dem Zimmer verstreut, doch ich glaubte verstanden zu haben, dass noch jemand erwartet wurde. Bald darauf öffnete ein Butler die Türen und betrat vor einer Frau den Raum.
    »Mrs. Clara Banwell«, verkündete er.

     
    »Können Sie eigentlich mit jedem Menschen eine Psychoanalyse machen, Dr. Freud?«, fragte Mrs. Banwell, als die Gruppe hinüber in Jelliffes Speisesaal wechselte. »Mit mir zum Beispiel?«
    Im Jahr 1909 schritten die Gäste bei einem eleganten amerikanischen Dinner stets paarweise zu Tisch: Jede Frau wurde von einem Mann eskortiert. Mrs. Banwell war nicht bei Freud untergehakt, sondern hatte im entscheidenden Moment die Finger auf Youngers Handgelenk gelegt. Dennoch hatte sie Freud angesprochen, und damit war ihr die Aufmerksamkeit aller Gäste gewiss.
    Erst am Morgen war Clara Banwell im selben Wagen wie Mr. und Mrs. Acton vom Land zurückgekehrt. Jelliffe war ihr rein zufällig in der Eingangshalle des Balmoral über den Weg gelaufen. Als er erfuhr, dass ihr Mann für den Abend bereits eine andere Verpflichtung hatte, lud er Clara spontan zu seinem Dinner ein. Er versicherte ihr, dass sie auf hochinteressante Gäste treffen würde. Jelliffe fand Clara Banwell absolut unwiderstehlich – und ihren Mann gleichermaßen unerträglich.
    Bei bestimmten gesellschaftlichen Anlässen benehmen sich eigentlich würdevolle und ernste Männer wie Schauspieler auf einer Bühne. Jedes Wort, jede Geste wird zur Darbietung. Die Ursache hierfür ist stets eine Frau. Auch Clara Banwell übte diese Wirkung auf Jelliffes männliche Gäste aus. Sie war sechsundzwanzig und ihre Haut so weiß wie die einer gepuderten japanischen Prinzessin. Alles an ihr war makellos. Ihre Figur war erlesen. Ihr Haar war samtdunkel, und in ihren meergrünen Augen funkelte der Glanz einer provokativen Intelligenz. An jedem Ohr hing eine schimmernde orientalische Perle, und an einem Silberfaden um ihren Hals saß eine rosafarbene Naturperle in einer Fassung aus Diamanten und Platin. Wenn sie ein Lächeln andeutete – und sie deutete es immer nur an -, lagen ihr die Männer zu Füßen.
    »Was Frauen wollen«, erwiderte Freud auf ihre Frage, während die Gäste ihre Plätze an einem kristallschimmernden Tisch einnahmen, »ist für den Psychoanalytiker genauso ein Rätsel wie für den Dichter. Wenn Sie es uns nur sagen könnten, Mrs. Banwell – aber Sie können nicht. Sie sind das Rätsel, aber Sie sind nicht mehr als wir armen Männer dazu imstande, es zu lösen. Dagegen ist, was Männer wollen, fast immer offensichtlich. Unser Gastgeber beispielsweise hat aus Versehen nicht nach seinem Löffel gegriffen, sondern nach dem Messer.«
    Alle Augen wandten sich der lächelnden, massigen Gestalt Jelliffes am Kopf des Tischs zu. Es war tatsächlich so. Er hatte sein Messer – nicht das Brotmesser, sondern das Tafelmesser in der rechten Hand. »Und was bedeutet das, Dr. Freud?«, fragte eine ältere Dame.
    »Es bedeutet, dass Mrs. Banwell die aggressiven Triebe unseres Gastgebers geweckt hat. Diese Aggression, die aus einer für jedermann wohl leicht begreiflichen Situation sexueller Konkurrenz entstanden ist, hat seine Hand zum falschen Instrument geführt und dabei Wünsche offenbart, deren er sich selbst nicht bewusst war.«
    Ein Murmeln ging um den Tisch. Younger, der auf der rechten Seite von Mrs. Banwell saß, fragte sich, ob die Gäste diese freimütige Unterhaltung tolerieren würden.
    »Touché, touché. Ich bekenne mich schuldig.« Jelliffe, dessen gute Laune anscheinend keinen Dämpfer erhalten hatte, wedelte mit dem Messer in Claras Richtung. »Nur dass die

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