Morddeutung: Roman (German Edition)
Zumindest für die Männer, die ihnen am Herzen liegen. Wäre Ihnen das recht?« Laute Zustimmung, wenigstens aus den Reihen der männlichen Gäste, brandete um den Tisch. »Aber ich werde es nicht tun, außer die Männer erzählen ihrerseits, was sie wirklich für Frauen empfinden.« Prompt wurde durch allgemeinen Zuruf eine Vereinbarung getroffen, wenngleich Younger den Mund hielt, wie auch Charles Dana am unteren Ende der Tafel.
»Nun, da Sie mich also zwingen, meine Herren«, erklärte Clara, »muss ich das Geheimnis der Frauen beichten. Frauen sind den Männern unterlegen. Ich weiß, es ist rückständig, so etwas zu bekennen, aber es wäre albern, das zu leugnen. Alle Reichtümer der Menschheit, ob materiell oder geistig, sind Schöpfungen der Männer. Unsere gewaltigen Städte, unsere Wissenschaft, Bildkunst und Musik – alles erbaut, entdeckt, gemalt und komponiert von euch Männern. Das wissen die Frauen. Wir können nicht anders, als uns von den stärkeren Männern bezwingen zu lassen, und wir können nicht anders, als es euch übel zu nehmen. Die Liebe einer Frau ist zur Hälfte animalische Leidenschaft und zur Hälfte Hass. Je mehr eine Frau einen Mann liebt, desto mehr hasst sie ihn auch. Um einer Frau würdig zu sein, muss der Mann der Frau überlegen sein; wenn er ihr überlegen ist, muss sie ihn mit einem Teil ihrer Seele hassen. Nur in der Schönheit übertreffen wir euch, und daher ist es auch kein Wunder, dass wir die Schönheit mehr verehren als alles andere. Daher«, so schloss sie, »ist eine Frau nie in solcher Gefahr wie in Gegenwart eines schönen Mannes.«
Ihre Zuhörer lauschten wie gebannt, eine Reaktion, die für Clara Banwell offenbar nichts Ungewöhnliches war. Younger hatte das Gefühl, dass sie ihm am Ende ihrer Ausführungen einen ganz flüchtigen Seitenblick zugeworfen hatte – und er war nicht der einzige Mann am Tisch, der diesen Eindruck hatte -, doch er sagte sich, dass er sich das nur eingebildet hatte. Außerdem musste Younger daran denken, dass ihm Mrs. Banwell soeben vielleicht eine Erklärung für das wilde Auf und Ab widersprüchlicher Gefühle geliefert hatte, mit dem seine Mutter seinem Vater begegnet war. Nachdem Youngers Vater 1904 Selbstmord begangen hatte, wollte seine Mutter nicht wieder heiraten. Er fragte sich, ob seine Mutter seinen Vater immer zugleich geliebt und gehasst hatte, so wie es Mrs. Banwell geschildert hatte.
»Im geistigen Leben der Frauen ist der Neid sicherlich die vorherrschende Kraft, Mrs. Banwell«, bemerkte Freud. »Deswegen haben Frauen auch so wenig Sinn für Gerechtigkeit.«
»Und Männer sind nicht neidisch?«, fragte Clara.
»Männer sind ehrgeizig«, erwiderte er. »Ihr Neid speist sich hauptsächlich aus dieser Quelle. Der Neid einer Frau hingegen ist immer erotisch. Den Unterschied kann man an den Tagträumen erkennen. Alle Menschen haben natürlich Tagträume. Bei Männern gibt es zwei Arten: erotische und ehrgeizige. Bei Frauen sind Tagträume ausschließlich erotisch.«
»Ich möchte behaupten, dass das bei mir nicht der Fall ist«, erklärte die rundliche Dame mit dem Schnupfen.
»Aber ich muss Dr. Freud in allen Punkten recht geben«, stellte Clara Banwell fest, »vor allem was den Ehrgeiz der Männer angeht. Mein Mann George zum Beispiel. Er ist der vollkommene Mann. Er ist keineswegs schön. Aber er ist stattlich, zwanzig Jahre älter als ich, erfolgreich, stark, zielstrebig, unbeugsam. Und für all diese Eigenschaften liebe ich ihn. Andererseits verliert er jegliches Bewusstsein von meiner Existenz, sobald ich nicht mehr in Sicht bin. So stark ist sein Ehrgeiz. Und dafür hasse ich ihn. Dazu zwingt mich die Natur. Die glückliche Konsequenz für mich ist, dass ich die Freiheit habe, alles zu tun, wonach mir der Sinn steht. Zum Beispiel kann ich heute Abend hier bei einem von Smiths wunderbaren Dinners sein, und George wird nicht einmal wissen, dass ich die Wohnung verlassen habe.«
»Clara«, schmollte Jelliffe, »jetzt bin ich aber beleidigt. Sie haben mir nie erzählt, dass Sie solche Freiheiten besitzen.«
»Ich habe gesagt, dass ich alles tun kann, wonach mir der Sinn steht, Smith«, konterte Clara, »nicht, wonach Ihnen der Sinn steht.« Wieder ertönte lautes Gelächter. »Also, jetzt habe ich alles gebeichtet. Was sagen nun die Männer? Hassen die Männer nicht insgeheim die Bande ehelicher Treue? Nein, Smith, bitte. Was Sie darüber denken, weiß ich. Ich würde gern eine objektive Meinung hören. Dr. Freud,
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