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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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betreffenden Wünsche unbewusst sind, kann ich nicht bestätigen.« Mit dieser kultivierten Schlüpfrigkeit erntete er dankbares Gelächter am ganzen Tisch, und Younger erkannte, dass seine Sorge unbegründet war.
    Freud griff den Faden wieder auf. »Im Gegensatz dazu bindet sich mein guter Freund Ferenczi hier seine Serviette sorgfältig vor die Brust wie einen Babylatz. Damit appelliert er an Ihren Mutterinstinkt, Mrs. Banwell.«
    Mit gutmütiger Verblüffung sah sich Ferenczi am Tisch um. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er als Einziger seine Serviette so benutzt hatte.
    »Sie haben sich vor dem Essen länger mit meinem Mann unterhalten, Dr. Freud«, bemerkte Mrs. Hyslop, eine großmütterliche Frau, die neben Jelliffe saß. »Was haben Sie über ihn herausgefunden?«
    Freud zögerte keine Sekunde. »Professor Hyslop, hätten Sie die Güte, mir etwas zu bestätigen? Sie haben mir nicht den Vornamen Ihrer Mutter verraten, stimmt das?«
    »Wie bitte?« Hyslop hielt sich das Hörrohr ans Ohr.
    »Wir haben vorhin nicht über Ihre Mutter gesprochen, oder?«
    »Über meine Mutter? Nein, kein Wort.«
    »Sie hieß Mary«, stellte Freud fest.
    »Woher wissen Sie das?« Hyslop blickte anklagend in die Runde. »Woher weiß er das? Ich habe ihm Mutters Namen nicht verraten.«
    »Doch, das haben Sie«, versetzte Freud, »aber ohne es zu wissen. Was mich wundert, ist der Name Ihrer Frau. Jelliffe hat mir gesagt, sie heißt Alva. Ich muss zugeben, ich hätte eher auf eine Variante von Mary getippt. Ich war mir ganz sicher. Daher möchte ich eine Frage an Sie richten, Mrs. Hyslop, wenn Sie gestatten. Hat Ihr Gatte vielleicht einen Kosenamen für Sie?«
    »Ja, mein zweiter Vorname lautet Maria«, bekannte die überraschte Mrs. Hyslop, »und er nennt mich schon immer Marie.«
    Jelliffe quittierte diese Äußerung mit einem Jubelschrei, und Freud erhielt von allen Seiten Beifall.
    »Ich bin heute Morgen mit einem Schnupfen aufgewacht«, meldete sich nun eine Matrone gegenüber von Ferenczi. »Der Sommer ist doch kaum vorbei. Hat das was zu bedeuten, Dr. Freud?«
    »Ein Schnupfen, Madam?« Freud überlegte kurz. »Ich fürchte, manchmal ist ein Schnupfen einfach bloß ein Schnupfen.«
    »Aber sind Frauen wirklich so geheimnisvoll?« Clara Banwell blickte Freud schelmisch an. »Ich finde, Sie sind viel zu nachsichtig gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Was Frauen wollen, ist doch das Einfachste von der Welt.« Sie wandte sich dem gut aussehenden, dunkelhaarigen jungen Mann zu ihrer Rechten zu, dessen weiße Fliege ein wenig schief saß. Er hatte sich bisher noch nicht am Gespräch beteiligt. »Was meinen Sie, Dr. Younger? Können Sie uns verraten, was eine Frau will?«
    Younger hatte Mühe, Clara Banwell einzuschätzen. Zum einen fiel es ihm schwer, die Vorstellung einer Mrs. George Banwell von Mr. George Banwell zu trennen, den er immer noch für einen Mörder hielt, auch wenn ihn der Bürgermeister persönlich entlastet hatte. Zum anderen gelang es Younger nicht, den Gedanken an Nora Actons Schilderung zu verscheuchen: Mrs. Banwells herrlicher nackter Rücken, der sich sanft und wellenförmig bewegte, während sie ihr Haar über die Schulter warf.
    Für Younger war Nora die hinreißendste Frau, die er je getroffen hatte. Doch Clara Banwell war fast genauso attraktiv, wenn nicht sogar noch mehr. Das Begehren eines Menschen, sagt Hegel, beginnt mit dem Begehren nach dem Begehren des anderen. Es war unmöglich für einen Mann, Clara Banwell anzusehen, ohne sich zu wünschen, dass sie ihn vor den anderen auszeichnete, ihn bevorzugte und etwas von ihm wollte. Jelliffe zum Beispiel hätte sich freudigen Herzens in ein Schwert gestürzt, wenn sich Clara dazu herabgelassen hätte, ihn darum zu bitten. Auf dem Weg in den Speisesaal, als Claras Hand auf seinem Arm gelegen hatte, hatte Younger die Berührung am ganzen Körper gespürt. Aber sie hatte auch etwas an sich, was ihn auf Distanz hielt. Vielleicht war das so, weil er Harcourt Acton kennengelernt hatte. Younger schätzte sich nicht als Puritaner ein, aber die Vorstellung, dass Mrs. Banwell diesen schwächlichen Mann befriedigt hatte, war nicht gerade erhebend.
    »Mrs. Banwell«, erwiderte er schließlich, »ich bin sicher, wenn Sie uns über das Thema Frauen aufklären würden, wäre das weitaus interessanter als alles, was ich dazu beitragen könnte.«
    Clara schlug einen zuvorkommenden Ton an. »Ich könnte Ihnen wohl etwas darüber erzählen, was Frauen für Männer empfinden.

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