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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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einem Schemel oder so.«
    »Auf einem Schemel?«
    »Möglich ist es.«
    »Ein Mann, der ein Mädchen auspeitscht, steigt nicht auf einen Schemel, Detective.«
    »Und warum nicht?«
    »Das ist doch lächerlich. Er würde herunterfallen.«
    »Nicht, wenn er sich irgendwo festhalten kann«, wandte der Detective ein. »An einer Lampe zum Beispiel oder an einem Hutständer.«
    »An einem Hutständer? Wieso sollte er so was machen, Detective?«
    »Damit wir ihn für größer halten.«
    »Wie viele Mordfälle haben Sie bisher untersucht?«, fragte der Coroner.
    »Das ist mein erster als Detective.« Littlemore war die Begeisterung deutlich anzumerken.
    Hugel nickte. »Darf ich annehmen, dass Sie wenigstens mit dem Dienstmädchen geredet haben?«
    »Dienstmädchen?«
    »Ja, das Dienstmädchen. Das Dienstmädchen von Miss Riverford. Haben Sie sie gefragt, ob ihr etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist?«
    »Ich glaube nicht, dass ich …«
    »Sie sollen nicht glauben«, fauchte der Coroner, »Sie sollen was rausfinden. Fahren Sie zurück zum Balmoral, und reden Sie mit diesem Dienstmädchen. Sie hat das Zimmer als Erste betreten. Lassen Sie sich genau von ihr beschreiben, was sie gesehen hat, als sie reingegangen ist. Jede Einzelheit, kapiert?«

     
    An der Ecke Fifth Avenue und Fifty-third Street, in einem Raum, den noch nie eine Frau betreten hatte – nicht einmal zum Abstauben oder Ausklopfen der Vorhänge -, schenkte ein Butler aus einer funkelnden Karaffe Rotwein in drei schwere Kristallkelche. Die Rundung dieser Kelche war reich verziert und so tief, dass fast eine ganze Flasche Bordeaux in ihr Platz hatte. Doch der Butler goss nur knapp einen Zentimeter in jeden.
    Dann bot er die Gläser dem Triumvirat dar.
    Die drei Männer saßen in wuchtigen, um einen Kamin gruppierten Ledersesseln. Der Raum war eine Bibliothek, die knapp viertausend Bände enthielt, von denen die meisten in griechischer, lateinischer und deutscher Sprache verfasst waren. Auf einer Seite des Kamins, in dem kein Feuer brannte, stand eine Büste von Aristoteles auf einem jadegrünen Marmorsockel. Auf der anderen Seite thronte die Büste eines alten Hindus. Über der Einfassung befand sich ein breiter Sims, auf dem eine große, wie eine Sinuswelle gewundene Schlange vor einem Hintergrund von Flammen abgebildet war. Darunter war in Großbuchstaben das Wort CHARAKA eingraviert.
    Rauch aus den Pfeifen der Männer umschmeichelte die Decke hoch über ihnen. Der Mann in der Mitte machte eine kaum merkliche Bewegung mit der rechten Hand, an der er einen großen, ungewöhnlichen Silberring trug. Er war Ende fünfzig, hager im Gesicht und von drahtiger Statur mit dunklen Augen, schwarzen Brauen unter dem silbernen Haar und den Händen eines Pianisten.
    Auf sein Zeichen hin hielt der Butler einen brennenden Kienspan in die Feuerstelle, und ein dickes Bündel Papiere entzündete sich. Im Kamin leuchteten und knisterten tanzende orangefarbene Flammen. »Vergessen Sie bitte nicht, die Asche aufzubewahren«, wies der Herr den Diener an.
    Mit einem stummen Nicken zog sich der Butler zurück und schloss hinter sich die Tür.
    »Es gibt nur eine Möglichkeit, Feuer zu bekämpfen«, fuhr der Mann mit den Pianistenhänden fort. »Meine Herren.«
    Als die beiden anderen ihre Kristallgläser erhoben, hätte ein Beobachter bemerken können, dass sie einen ganz ähnlichen Silberring an der rechten Hand trugen. Einer dieser anderen beiden Herren war beleibt und rotwangig, mit buschigen, bis zum Mund reichenden Koteletten. Er vollendete den Trinkspruch des eleganten Mannes und trank sein Glas leer. »Mit Feuer.«
    Der dritte Herr war dünn, er hatte schütteres Haar und einen scharfen Blick. Er sprach kein Wort und schlürfte nur seinen Wein, einen Château Lafite Jahrgang 1870.
    »Kennst du den Baron eigentlich persönlich?«, fragte der elegante Mann den Herrn mit dem schütteren Haar. »Ich nehme an, du bist mit ihm verwandt.«
    »Rothschild?«, erwiderte der Angesprochene gleichgültig. »Ich bin ihm noch nie begegnet. Wir gehören zum englischen Zweig.«

KAPITEL DREI
     
    Als Freuds erstes Ausflugsziel suchte Brill ausgerechnet Coney Island aus. Zu Fuß brachen wir zur Grand Central Station auf, die nur einen Block von unserem Hotel entfernt war. Die Sonne schien bereits heiß vom wolkenlosen Himmel, und die Straßen waren verstopft vom Montagvormittagsverkehr. Von Pferden gezogene Lieferfuhrwerke wurden ungeduldig von Automobilen umkurvt. Ein Gespräch war unmöglich.

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