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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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Arzt.
    »Gut. Und Ihrem Fuß?«
    »Gut. Was halten Sie davon, wenn wir aus diesem Höllenloch verschwinden?«
    Den Schrankkoffer hinter sich herziehend, kämpften sie sich durch herabstürzende Wassersäulen, bis sie wieder im mittleren Raum angelangt waren. Die steile Rampe zum Aufzug war bereits zur Hälfte überflutet. Auch vom oberen Rand des Fahrstuhls schoss das Wasser herunter auf die Rampe und bildete einen Vorhang vor dem Aufzug. Doch die Kabine hinter dem Schleier schien noch trocken.
    Mit vereinten Kräften schafften es Littlemore und Younger irgendwie, den Schrankkoffer über die Rampe zu zerren, ihn in den Aufzug zu hieven und schließlich selbst hinterdreinzutorkeln. Schwer atmend schloss Younger die Eisentür. Plötzlich wurde es still. Die Flutung des Senkkastens drang nur noch als gedämpftes Dröhnen zu ihnen herein. Im Aufzug brannten noch die blauen Gaslampen.
    »Und ab die Post.« Littlemore stellte den Hebel auf AUFWÄRTS – aber nichts passierte. Er versuchte es erneut. Nichts. »Schöne Schweinerei.«
    Younger kletterte auf den Schrankkoffer und klopfte an die Decke. »Der ganze Schacht ist überschwemmt.«
    »Schauen Sie.« Der Detective deutete hinauf zu Younger. »Da ist eine Luke in der Decke.«
    Tatsächlich befanden sich an der Decke des Fahrstuhls zwei große klappbare Paneelplatten.
    »Und damit kriegt man sie auf.« Younger deutete auf eine dicke Kette an der Wand, an deren Ende ein roter Holzgriff baumelte. Er sprang vom Schrankkoffer und nahm den Griff in die Hand. »Jetzt geht’s nach oben, Detective – aber ein bisschen schneller als bei der Fahrt nach unten.«
    »Nein!«, rief Littlemore. »Sind Sie verrückt? Wissen Sie, wie viel das Wasser über uns wiegt? Wenn wir da nicht ersaufen, dann nur, weil wir vorher zu Tode gequetscht werden.«
    »Nein. Das hier ist eine Druckkabine«, erklärte Younger. »Das heißt, sie steht unter Überdruck. Sobald ich die Luke aufmache, werden wir durch diesen Wasserschacht nach oben geschleudert wie in einem Geysir.«
    »Sie nehmen mich auf den Arm.«
    »Nein, hören Sie mir zu. Auf dem Weg nach oben müssen Sie die ganze Zeit ausatmen. Am besten Sie schreien. Das ist mein voller Ernst. Wenn Sie auch nur wenige Sekunden die Luft anhalten, werden Ihre Lungenflügel platzen wie Ballons.«
    »Und wenn wir uns in den Aufzugkabeln verfangen?«
    »Dann ertrinken wir«, antwortete Younger.
    »Toller Plan.«
    »Ich bin offen für Alternativen.«
    Durch ein Glasfenster in der Aufzugtür konnte Littlemore hinaus in den Senkkasten schauen. Er war inzwischen fast völlig dunkel. Von allen Seiten strömte Wasser herunter. Der Detective schluckte. »Und was ist mit dem Koffer?«
    »Den nehmen wir mit.« Der Schrankkoffer hatte zwei Lederhenkel. Jeder von ihnen packte einen mit festem Griff. »Vergessen Sie nicht zu schreien, Littlemore. Fertig?«
    »Glaub schon.«
    »Eins, zwei – drei .« Entschlossen zog Younger an dem roten Griff. Sofort öffneten sich die Deckenplatten, und zwei Männer, die um ihr Leben schrien und einen schwarzen Schrankkoffer hinter sich herzogen, schossen wie aus einer Kanonenkugel abgefeuert einen Aufzugschacht voller Wasser hinauf.

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
     
    Das großzügige Foyer in der Penthousewohnung der Banwells im Balmoral hatte einen Boden aus milchweißen Marmorfliesen mit silbrigen Fäden, in dessen Zentrum prächtige dunkelgrüne Intarsien ein verschlungenes GB bildeten. Diese Insignien erfüllten George Banwell jedes Mal, wenn sein Blick darauf fiel, mit tiefer Befriedigung. Er hatte es gern, wenn alle Dinge aus seinem Besitz mit seinen Initialen versehen waren. Clara Banwell dagegen hasste sie. Einmal hatte sie es sogar gewagt, einen teuren Orientteppich ins Foyer zu legen mit der Erklärung, dass der Marmor so stark poliert war, dass ihre Gäste Gefahr liefen auszurutschen. Am nächsten Tag war der Boden im Foyer wieder nackt. Clara sah ihren Teppich nie wieder, und er wurde auch mit keinem Wort mehr erwähnt – weder von ihr noch von ihm.
    Am Freitagmorgen um zehn nahm ein Butler in diesem Foyer die Post der Banwells entgegen. Ein Umschlag trug Nora Actons hübsche geschwungene Handschrift. Die Adressatin war Mrs. Clara Banwell. Unglücklicherweise für Nora war George Banwell noch zu Hause. Glücklicherweise war es jedoch die Gewohnheit von Parker, dem Butler, Mrs. Banwell ihre Post zuerst zu bringen, und das tat er auch an diesem Morgen. Unglücklicherweise hatte Clara Noras Brief noch in der Hand, als Banwell

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