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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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heimgesucht. Man hatte ihm doch erzählt, dass Fenster fünf nicht richtig funktionierte. Er malte sich aus, wie Younger im Wasser mit hervortretenden Augen verzweifelt gegen die Außenhülle des Senkkastens trommelte, während er, Littlemore, drinnen stand und hilflos an den Ketten riss. Wie war er nur auf die Idee verfallen, das nicht selbst zu machen?
    Nach genau einer Minute betätigte Littlemore in rascher Folge die Lastzüge, die das Fenster wieder aufrichteten und die Außenluke schlossen. Der Mechanismus funktionierte einwandfrei. Dann stieß er die Innenluke auf. Kübelweise kam ihm das Wasser entgegengeschossen. Das hatte er erwartet. Was er jedoch nicht erwartet hatte, war, dass die Kammer leer war.
    »O nein«, ächzte Littlemore. »O nein.«
    Er knallte das Fenster wieder zu und öffnete die Außenluke. Nachdem er zehn Sekunden abgezählt hatte, klappte er außen wieder zu. Erneut riss er das Fenster auf. Abermals nur Wasser und keine Spur von Younger. In wahnsinniger Hast machte Littlemore alles noch einmal, bloß mit einem Unterschied. Er betete. Aus tiefstem Herzen und mit aller Kraft betete er darum, den Arzt in der Kammer vorzufinden. »Bitte, lieber Gott«, flehte er. »Lass ihn dort sein. Vergiss alles andere. Lass ihn einfach bloß dort sein.«
    Zum dritten Mal zerrte Littlemore die Stahlplatte von Fenster fünf hoch und machte sich dabei Schuhe und Hose nass. Die Kammer war inzwischen gut ausgespült. Die vier Metallwände schimmerten feucht. Doch sie war noch immer leer.
    Der Detective spähte auf die Uhr. Zwei Minuten und fünfzehn Sekunden waren vergangen. Genau das war der Rekord seines Vaters gewesen, doch sein Vater war damals ohne Anstrengung in einem warmen, ruhigen Weiher getrieben. Dr. Younger konnte nie so lange überlebt haben. Littlemore wusste das – aber er wollte es nicht akzeptieren. Mechanisch und wie betäubt spulte er die Handgriffe ein viertes und fünftes Mal herunter, immer mit dem gleichen Ergebnis. Schließlich sank er auf die Knie und starrte in die leere Metallkammer. Den Schmerz in seinem Bein bemerkte er gar nicht.
    Auf einmal nahm er etwas anderes wahr, doch er rührte sich nicht: Weit über ihm war der Tausende von Tonnen schwere Senkkasten von einem schweren Stoß erschüttert worden. Der Erschütterung folgte ein Scharren – ein lang anhaltendes metallisches Knirschen -, das ebenfalls hoch über seinem Kopf ertönte. Es war, als würde das Dach des Senkkastens vom Rumpf eines Unterseeboots gestreift.
    Als dieses Geräusch verhallt war, wurde er auf ein neues aufmerksam. Ein leises Geräusch. Ein Klopfen. Ratlos blickte sich Littlemore um, da er nicht erkennen konnte, wo es herkam. Auf Händen und Knien kroch er hastig nach links, atemlos, wider alle Vernunft hoffend. Das Klopfen kam aus Fenster sechs. Immer noch am Boden hockend, betätigte Littlemore die Lastzüge, entriegelte die Stahlplatte und stieß sie auf. Wieder schoss ein dicker Schwall Wasser heraus, dem knienden Detective direkt über Gesicht und Brust, und aus der Kammer stürzte ein großer schwarzer Schrankkoffer, der ihn umriss. Danach kam Stratham Youngers Kopf mit einem Gummischlauch im Mund zum Vorschein.
    Der Strom versiegte nicht völlig; das Wasser floss weiter aus dem Fenster wie aus einer überlaufenden Badewanne. Mit dem Schrankkoffer auf dem Bauch blickte Littlemore sprachlos zu dem Arzt hinauf. Younger spuckte den Schlauch aus.
    »A-atemschläuche.« Der Arzt zitterte vor Kälte. »In den F-fenstern.«
    »Aber warum sind Sie nicht durch Nummer fünf zurückgekommen?«
    »G-g-ging nicht.« Youngers Zähne klapperten. »Die Außenluke hat sich nicht w-weit genug g-geöffnet. S-s-sechs war offen.«
    Littlemore befreite sich von dem Schrankkoffer. »Sie haben ihn gefunden, Doc! Sie haben ihn gefunden! Schauen Sie nur!« Der Detective wischte den Schlamm von dem Schrankkoffer. »Genau der gleiche wie der, den wir in Leons Zimmer gefunden haben!«
    »Machen Sie ihn auf.« Youngers Kopf lugte noch immer aus Fenster sechs.
    Littlemore wollte ihn gerade darauf hinweisen, dass die Spangen des Schrankkoffers mit einem Vorhängeschloss gesichert waren, als der Senkkasten abermals von einem gewaltigen Schlag erbebte, dem erneut das metallische Scharren folgte.
    »Was war das?«, fragte Younger.
    »Ich weiß nicht. Ist schon das zweite Mal. Kommen Sie, hauen wir ab.«
    »Ich hab da ein kleines Problem.« Younger hatte sich nicht aus dem Fenster gerührt, aus dem immer noch das Wasser lief. »Mein

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