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Mordgier

Mordgier

Titel: Mordgier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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gab den Blick auf zwei weitere besetzte Tische auf der anderen Seite des fensterlosen Raumes frei.
    An dem einen saß ein hinreißend gekleidetes Paar in den Dreißigern, Weingläser umklammernd und einander zugeneigt wie Faustkämpfer.
    Angespannte Unterkiefer, geöffnete Lippen, verzückte Blicke. Leidenschaft ganz knapp vor dem Koitus - oder ein schlecht getarnter Streit.
    Rechts von ihnen saß ein Mann mit einem Kind - ein pummeliges blondes Mädchen. Es saß mit dem Rücken zu mir über seinen Teller gebeugt. Seiner Größe nach zu urteilen, sechs oder sieben. Der Mann lehnte sich vor, um den Blickkontakt aufrechtzuerhalten, und sein Gesicht verschmolz mit den Schatten. Er berührte ihre Wange. Sie schüttelte ihn ab und aß weiter. Sie trug einen weißen Sweater und einen pinkfarbenen karierten Rock, weiße Söckchen und rote Lackschuhe. Abgesehen von den Schuhen vielleicht eine Schuluniform. Sein graues Sportjackett und sein braunes Hemd wirkten vergleichweise trist.
    Ich konnte genug von ihm sehen, um eine kleine Gestalt auszumachen. Das entsprach Politos Beschreibung von Roland Korvutz. Das galt auch für sein Alter - um die sechzig - und dafür, dass er ein Kind hatte.
    Er brach ein Stück Brot ab und setzte sich gerade hin, um es zu essen, so dass ich sein Gesicht besser sehen konnte. Hohe, flache Wangenknochen, Knollennase, schmales Kinn, Brille mit Stahlgestell. Falls dies mein Opfer war, waren die rotbraunen Haare zu spärlichen grauen, quer über den Kopf gekämmten Strähnen verblasst.
    Er griff nach seiner Gabel, drehte Nudeln damit auf und bot sie dem Mädchen an. Es schüttelte mit Nachdruck den Kopf.
    Er sagte etwas. Falls das Mädchen antwortete, konnte ich es nicht hören.
    Schwarze Serge füllte wieder mein Blickfeld. Eine große Flasche Aqua Minerale Primo Fiorentino und ein eisgekühltes Glas wurden sanft abgesetzt. »Haben Sie etwas gefunden, Sir?«
    Da ich von dem späten Mittagessen immer noch satt war, entschied ich mich für das leichteste Gericht, einen Salat aus Taucher-Jakobsmuscheln für vierundvierzig Dollar. Bevor der Smoking mir die Karte wegnahm, schaute ich nach dem Preis für das Wasser. Es kostete ganz allein deutlich mehr, als der Tagessatz des LAPD vorsah. Vielleicht war es von äußerst gut ausgebildeten, medizinisch beglaubigten vestalischen Jungfrauen aus artesischen Quellen handgeschöpft worden.
    Ich trank einen Schluck. Es schmeckte wie Wasser.
    Das Mädchen auf der anderen Seite des Raums sagte etwas, was den Mann in dem grauen Sportjackett veranlasste, die Brauen hochzuziehen.
    Er sagte wieder etwas. Sie schüttelte den Kopf. Stand von ihrem Stuhl auf. Ihr Rock war hochgerutscht, und er streckte die Hand aus, um ihn glattzustreichen. Ihre Hand war zuerst da. Sie stellte sich gerade hin, fuhr sich durchs Haar. Drehte sich um.
    Reine Haut, blaue Augen, Stupsnase. Das unverkennbare Gesicht des Down-Syndroms.
    Älter, als ich geschätzt hatte, zehn oder elf.
    Sie bemerkte mich. Lächelte. Winkte. Sagte laut genug »Hal-lo«, um die Oper zu übertönen.
    »Hi.«
    »Ich gehe auf die Toilette.«
    Der Mann sagte: »Elena -«
    Das Mädchen wackelte zürnend mit einem Finger. »Ich rede mit dem Mann , Daddy.«
    »Liebling, wenn du auf die -«
    Das Mädchen stampfte mit dem Fuß auf. »Ich rede , Daddy.«
    »Das weiß ich, Liebling. Aber -«
    » Daddy «, sagte sie, erneut mit dem Fuß aufstampfend. Dann: »Daddy traurig ?« Sie nahm sein Gesicht in beide Hände, küsste ihn auf die Wange, sprang fröhlich zu einer Tür im hinteren Bereich des Restaurants.
    Eine nicht gekennzeichnete Tür; das Kind war es gewohnt, Abendessen für hundert Dollar zu sich zu nehmen.
    Der Mann zuckte die Achseln und formte das Wort »Sorry« mit den Lippen.
    »Sie ist ein Schatz.«
    Er wickelte weiter Pasta auf. Musterte eine diamantbesetzte Armbanduhr. Legte die Gabel hin und schaute wieder auf die Uhr.
    Der Smoking kam zu ihm. »Alles in Ordnung, Mr. Korvutz?«
    »Ja, ja, vielen Dank, Gio.«
    »Schön, Elena wiederzusehen. Ist ihre Erkältung besser geworden?«
    »Letztendlich.«
    »Kluges Kind, Mr. K. Gefällt ihr die Schule?«
    Korvutz nickte schwach.
    »Möchten Sie etwas Wein zu der Cola Light, Mr. K.?«
    »Nein, ich arbeite später noch zu Hause, muss einen klaren Kopf haben.«
    »Kinder«, sagte Gio.
    Korvutz’ Gesicht wurde traurig. »Sie sind es wert.«
    Elena kam zurück und spielte mit dem Saum ihres Sweaters. Sie blieb an meinem Tisch stehen und zeigte mit dem Finger auf mich. » Er

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