Mordkommission
und fragte sie
scherzhaft, während er auf mich zeigte: »Woher kennen Sie denn unseren neuen MKL?« Ich hatte die Stelle tatsächlich bekommen.
Am 1. Oktober 2001 trat ich meinen Dienst bei der Mordkommission an. Zwar hatte ich während meiner früheren Tätigkeit beim Kriminaldauerdienst
des Öfteren an Tatorten Kontakte mit den Beamten der Mordkommission gehabt, aber damals bestand die Arbeit des Kriminaldauerdienstes
vor allem darin, den Tatort abzusperren und keine eigenen Spuren zu hinterlassen, sprich: »zu setzen«. Jetzt, Jahre später,
hatte ich nur mehr eine sehr vage Vorstellung von dem, was auf mich zukommen würde. Dementsprechend gespannt betrat ich das
Dienstgebäude gegenüber dem Münchner Hauptbahnhof, in dem das Mordkommissariat damals residierte. Bei meiner Vorstellung in
der Morgenbesprechung machte einer der etablierten MKL seinem Unmut über die Ernennung eines »Hühnerdiebstahlsachbearbeiters«
zum Leiter einer Mordkommission Luft, indem er leise, aber deutlich vernehmbar murmelte, dass man da auch gleich einen Hundeführer
als MKL hätte einstellen können – schade nur, dass der Kollege keine Gelegenheit mehr bekam, sich einen Eindruck von meiner
Arbeit zu verschaffen, da er bald darauf das Kommissariat verlassen musste.
Mein Vorgänger hatte sein Büro zwar geräumt, aber offenbar nur das mitgenommen, was ihm noch verwertbar erschien. Der zurückgelassene
Rest füllte mehrere Müllsäcke. Die P C-Tastatur , die Schreibtischplatte und andere |28| Einrichtungsgegenstände gaben ihre ursprünglichen Farben erst preis, nachdem ich sie stundenlang mit Wasser und Spülmittelkonzentrat
gequält hatte. Der Teppich und die Vorhänge hatten ihr Haltbarkeitsdatum wahrscheinlich schon längst überschritten, was dem
Raum eine Duftnote aus vergangenen Jahrzehnten verlieh. Bereits am Morgen war ich beim Betreten des Gebäudes durch die Hofeinfahrt
mit gewöhnungsbedürftigen Geruchserlebnissen konfrontiert gewesen. Die zahlreichen Besucher der umliegenden Sexbars, aber
auch der Bierhallen und Dönerstände, hatten im Schutze der Dunkelheit Spuren ihrer nächtlichen Bedürfnisse hinterlassen. Der
Duft des frisch aufgewärmten alten Fettes einer Gaststätte, die in den unteren Etagen des Hauses Quartier genommen hatte,
erfreute zusätzlich die Sinne.
Als kurzfristige Notlösung hatte die Polizei das Gebäude vor mehr als zwanzig Jahren angemietet. Bereits damals stand fest,
dass es aufgrund seines maroden Zustandes in Kürze abgerissen werden sollte. Wie es der Eigentümer geschafft hat, die Abrissbirne
von seinem Prunkbau fernzuhalten und die Polizei zu fortlaufenden Verlängerungen des Mietvertrages zu veranlassen, bleibt
sein Geheimnis. Die Polizei jedenfalls schien die Geschichte mit dem bevorstehenden Abriss für bare Münze genommen zu haben,
denn sie vermied es in all den Jahren, nennenswerte Geldbeträge in den Unterhalt der Räume zu investieren. Dies also waren
die Eindrücke meines ersten Arbeitstages bei der Mordkommission.
Man ließ mir allerdings nicht allzu viel Zeit, dem schmucken neuen Dienstgebäude und den liebenswerten Kollegen meiner alten
Dienststelle nachzutrauern, denn nun galt es, mich innerhalb von zwei Wochen mit allem vertraut zu machen, was ich vielleicht
schon in der dritten Woche brauchen würde. Da nämlich hatte meine Mordkommission – war das denn wirklich
meine
MK? – Bereitschaft. Von Montag 7.15 Uhr bis zum darauffolgenden Montag, 7.15 Uhr, würden alle aktuellen Fälle bei uns landen.
|29| Im Handumdrehen verflog die Zeit und dann kam der 15. Oktober 2001, an dem ich die Leitung der Mordbereitschaft übernehmen sollte. Das geschah wesentlich unspektakulärer, als ich
es erwartet hatte. Der Leiter der Vorgänger-Bereitschaft drückte mir einfach bei Dienstbeginn die Fahrzeugschlüssel des Bereitschaftsautos
und das Diensthandy in die Hand und wünschte mir süffisant »Viel Spaß!«.
Nun war es also so weit: Bei jedem Mord, jedem Totschlag, bei Entführung, erpresserischem Menschenraub, Amoklauf oder Geiselnahme
in München und im Landkreis würde mein Handy klingeln, bei Tag und bei Nacht, und ich würde ausrücken und vor Ort die Einsatzleitung
für die Ermittlungen übernehmen. Jede meiner Entscheidungen und Maßnahmen würde zu einem späteren Zeitpunkt durch Vorgesetzte
und Kollegen, Staatsanwälte, Richter, Verteidiger und womöglich auch durch die Medien geprüft und
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