Mordkommission
Biorhythmus wieder auf MEZ getrimmt hat.
|35| Blutiger Kneipenstreit
In der darauffolgenden Nacht musste ich nur bis zwei Uhr warten, bis das Handy hartnäckig meine Nachtruhe beendete. Eine muntere
Stimme des KDD erkundigte sich mitfühlend, ob ich schon schlafen würde. Mich durchzuckte der Gedanke, dass es bestimmt eine
Dienstvorschrift für das Aufwecken von Bereitschaftsbeamten gibt, die mit den Worten beginnt: »Hast du schon geschlafen?«
Heute weiß ich, dass es zwei bevorzugte Formulierungen für diesen Zweck gibt. Die eine – »Hast du schon geschlafen?« – findet
bis circa zwei Uhr morgens Anwendung, die andere – »Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt!« – gerne danach. Erfahrene Bereitschaftsbeamte,
sagt man, sind in der Lage, allein aufgrund der Anrede festzustellen, ob es vor oder nach zwei Uhr ist. Von dieser wichtigen
Erkenntnis war ich in jener Nacht jedoch noch mindestens hundert nächtliche Ausrücker entfernt.
Diesmal, so erfuhr ich, hatte es in einer Bierkneipe in Schwabing Zoff zwischen drei Gästen gegeben, in dessen Verlauf ein
unbekannter Gast einem seiner Kontrahenten mit einem zerbrochenen Bierglas eine circa zehn Zentimeter lange Schnittverletzung
am Hals zugefügt hatte. Der Verletzte befinde sich bereits in einem Krankenhaus, es bestehe keine akute Lebensgefahr. Ein
weiterer Gast habe eine leichte Schnittverletzung am Unterarm und werde im selben Krankenhaus versorgt.
Als ich am Tatort eintraf, hatten Beamte des Kriminaldauerdienstes bereits mit der Vernehmung begonnen. Allerdings erwies
sich die Befragung der verbliebenen Gäste als wenig ergiebig, da diese nur deswegen nicht das Weite gesucht hatten, weil sie
aufgrund ihrer Volltrunkenheit nicht das Geringste mitbekommen hatten. Erschwerend kam hinzu, dass Angestellte der Gaststätte
vor dem Eintreffen der ersten Funkwagen den Tatort bereits gereinigt und Glasscherben und einen mit Blut besudelten Scheuerlappen
in den Abfallcontainer |36| entsorgt hatten. Selbstverständlich nicht, um Spuren zu verwischen, sondern weil man diesem »kleinen Zwischenfall« keinerlei
Bedeutung zugemessen hatte. So blieb es den Beamten des Erkennungsdienstes nicht erspart, den mit Speiseresten und anderem
Unrat prall gefüllten Müllcontainer nach den Glasscherben zu durchsuchen, in der Hoffnung, DN A-Spuren oder Fingerabdrücke des Täters sichern zu können.
Ein Kollege war gleich ins Krankenhaus gefahren, um die Art und Schwere der Verletzungen sowie die Personalien der Geschädigten
zu ermitteln. Außerdem bat ich, soweit dies aus medizinischer Sicht vertretbar wäre, bei den Geschädigten auf freiwilliger
Basis eine Blutprobe zu entnehmen, damit die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit festgestellt werden konnte. Hierbei handelt
es sich um eine Routinemaßnahme, um gegebenenfalls später eine Aussage zur Glaubwürdigkeit und zum Verhalten eines Geschädigten
treffen zu können. Mein Kollege rief mich bald darauf aus dem Krankenhaus an und teilte mit, dass beide Verletzten nach ambulanter
Wundversorgung in Kürze entlassen würden. Ich veranlasste daraufhin, sie zu unserer Dienststelle zu bringen und dort zu vernehmen.
In der kaum beleuchteten, innen schwarz gestrichenen und schmuddeligen Gaststätte, einer echten Spelunke, war es aus nichtigem
Anlass – offensichtlich begünstigt durch reichlichen Alkoholgenuss – zunächst zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen.
Von wem die Aggression ausgegangen war, ließ sich vor Ort nicht klären. Unversehens hatte der Täter von einem der umstehenden
Tische ein Bierglas ergriffen und damit ohne Vorwarnung einen waagrechten, halbkreisförmigen Schlag gegen den Hals des Opfers
geführt. Beim Aufprall zerbrach das Glas, und der Getroffene erlitt eine quer verlaufende Schnittverletzung. Ein zweiter Gast,
der dem Angegriffenen zu Hilfe eilte, schlug dem Täter die Reste des Glases aus der Hand, ohne dass dieser einen weiteren
Versuch unternommen hätte, seinen Angriff fortzusetzen. Dabei zog sich der Helfer eine Schnittverletzung am Unterarm zu. Während
sich andere Gäste und das Personal um die Verletzten kümmerten, |37| setzte sich der Angreifer seelenruhig wieder an seinen Tisch und trank in Ruhe aus. Erst nach mehreren Minuten stand er auf
und verließ unbehelligt das Lokal.
Nachdem dieser Sachverhalt in Übereinstimmung mit den Aussagen der Angestellten gesichert schien, informierte ich den Jourstaatsanwalt.
Dieser gelangte
Weitere Kostenlose Bücher