Mordlast
den Fall zusammen mit einem Kollegen von der Berliner Polizei.«
»Dann haben Sie uns auch die Kopien zukommen lassen, die uns entscheidende Hinweise zur Aufklärung mehrerer Verbrechen geliefert haben.«
Davídsson nahm einen Schluck von dem Kaffee.
»Haben Sie denn schon eine Bestätigung dafür, dass die Papiere echt sind?«
»Ja. Die Untersuchungen wurden gerade abgeschlossen. Papier, Farbe und Schriftbild der Schreibmaschine stimmen mit den zur damaligen Zeit verwendeten Materialien überein.« Davídsson hatte den Bericht am Vortag von Andreas Rach per Mail erhalten und für seine Akten ausgedruckt. Eines der Blätter lag jetzt zum Trocknen auf der Heizung, aber er wusste auch ohne dieses Papier, was das Ergebnis der Untersuchung war.
»Bekomme ich eine Kopie davon?«
»Ich leite Ihnen den Bericht weiter. Dazu benötige ich nur noch Ihre E-Mail-Adresse.«
Wallner nannte ihm die Adresse und Davídsson tippte sie gleich in die Adresszeile der Mail ein. »Sie müssten das Gutachten in wenigen Sekunden haben.«
»Gut. Sie interessieren sich vor allem für den französischen Kriegsgefangenen mit der Nummer 762523, den Sie mithilfe der aufgefundenen Unterlagen als Alain Moïra identifiziert haben.«
»Ja.« Wallner war ihm zu langsam. Er brauchte zu lange, um auf den Punkt zu kommen, obwohl er sich nicht wie ein älterer, gemütlicher Kollege anhörte. Er klang eher intelligent und scharfsinnig. Vielleicht möchte er einfach nur genau sein, überlegte Davídsson, der sich die innere Unruhe nicht anmerken lassen wollte.
»Dieser Alain Moïra, ich hoffe, ich spreche den Namen richtig aus, wurde nach unseren Unterlagen am 12. August 1942 im Mürztal erschossen.«
»Was war da, in diesem Mürztal?«, fragte Davídsson, obwohl er glaubte, die Antwort bereits zu kennen.
»Das Mürztal ist in der Steiermark zwischen den Gemeinden St. Marein und St. Lorenzen. Dort sollte das sogenannte Mareiner Werk als größtes Elektrostahlwerk Europas gebaut werden.«
»Das Werk XII.«
»Ja, so wurde es auch genannt. Heute gibt es da immer noch ein Verwaltungsgebäude mit einer Gedenktafel an dieses Werk XII, das jetzt als Wohnhaus genutzt wird. Moïra war dort als Kriegsgefangener eingeteilt worden. Nach unseren Nachforschungen, und das wird Sie vermutlich besonders interessieren, ist Moïra von einem Stabsgefreiten Propstmeyer erschossen worden, als er wegen körperlicher Erschöpfung zusammengebrochen war. Bisher haben wir ja alle möglichen Ermittlungen nur mit den Nummern anstellen können, aber jetzt haben wir ja die dazugehörigen Namen. Propstmeyer hat darüber einen Bericht verfasst und nur die Nummer 762523 genannt. Sein Name und Rang ist aber deutlich zu lesen.«
»Alfons Propstmeyer.«
»Die Leichen haben wir nicht finden können, aber nach unseren Akten hat er mehr als zehn Männer selbst erschossen und noch mehr erschießen lassen. Ohne Leiche und nur mit den Nummern konnte ihm kein einziger Mord nachgewiesen werden. Die Indizien reichten für eine Verurteilung nicht aus und so ist er als freier Mann gestorben.«
Davídsson dachte an das Motiv, das Engbers und er schon häufiger bei diesem Fall in Betracht gezogen hatten: Rache.
»Hier steht, dass zu Nummer 762523 noch eine andere Nummer gehört: K-762523. Das ist aber merkwürdig. Bevor wir die Namen wussten, die zu den Nummern gehören, ist mir das nie aufgefallen.«
»Was bedeutet das?«
»Männer und Frauen haben eigene Nummern bekommen, aber die Kinder wurden nur mit einem zusätzlichen ›K‹ gekennzeichnet. Allerdings wurde dabei nicht die Nummer des Vaters, sondern die der Mutter verwendet.«
»Die Mutter war schon früher ermordet worden«, sagte Davídsson mit rauer Stimme. Er merkte, wie sich sein Hals innerhalb weniger Sekunden zugeschnürt hatte. Er löste die schwarze Krawatte und öffnete den obersten Knopf seines weißen Hemdes, doch es half nichts. Er meinte, langsam zu ersticken.
»Das könnte sein ...« Wallner raschelte auf der anderen Seite mit Papieren. Davídsson hörte, wie er Aktenberge umschichtete und darin blätterte, bis er den Hörer wieder aufnahm: »Hier ist etwas. Über den Verbleib des Kindes ist hier nur eine Aktennotiz vorhanden. Hier steht, dass das Kind mit der Nummer K und so weiter zum Spiegelgrund in Wien verbracht werden sollte.«
»Gibt es dort noch Aufzeichnungen über diese Kinder?«
»Heute befindet sich dort, soweit ich weiß, das Otto-Wagner-Spital und eine Gedenkstätte. Ich
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