Mordlast
hatten und so viel passiert war. Ólafur Davídsson war gekommen, Andreas Rach und eine Kollegin von Engbers, die niemand außer ihm kannte. Der Gerichtsmediziner, der den Tod von Iris Schrauder untersuchte, wollte später zur Besprechung hinzustoßen.
Offenbar sind die Personen in seinem Team beliebig austauschbar, hatte Davídsson überlegt, als sich die einzige Frau, die bei der Besprechung anwesend war, ihm gegenüber auf den Stuhl des Verhörleiters setzte.
Engbers hatte Stühle aus einem Büro besorgt und rings um den Tisch verteilt. Die Neonröhre über ihnen sorgte für ausreichend Licht auf dem Tisch, während der Teil um sie herum im Dunkeln blieb.
Fast wie die Kulisse für ein geheimes Treffen irgendeines Kartells aus einer billigen Fernsehserie, dachte Davídsson jetzt.
»Leider sind heute alle unsere Besprechungsräume besetzt. Wir haben anscheinend mehr zu besprechen, als zu verhören. Schlecht für die Statistik, gut für die Faulheit der Kollegen«, scherzte Engbers, doch er wurde gleich wieder ernst. »Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind und unsere Ermittlungen bald abschließen können, obwohl es sicher Entwicklungen in diesem Fall gab, auf die wir liebend gerne verzichtet hätten.«
Er berichtete über ihren Besuch bei Werner und Colbert und über die erfundene Geschichte von Elodie Moïra.
»Moment.« Andreas Rach meldete sich zu Wort. »Wie schreibt man diesen Namen?«
»M-o-i-Trema-r-a«, antwortete Engbers. »Moïra.«
»Den Namen kenne ich. Ich habe ihn erst kürzlich gelesen. Ich kann mich noch so genau daran erinnern, weil das Trema so selten ist. Moment.« Rach holte eine schwarze Ledermappe hervor und blätterte eifrig in Kopien mit einem deutlichen Grauschleier. »Ja, hier habe ich es. Alain Moïra. Er steht auf der Liste, die wir aus dem Schließfach geholt haben.«
»W ... Was?« Engbers stand auf und lief zu Rach.
»Ja. Hier steht, dass ein gewisser Alain Moïra mit der Gefangenennummer 762523 zu Erdarbeiten am Werk XII abkommandiert worden ist.« Rach reichte die Kopie reihum.
»Das kann doch auch ein Zufall sein«, meldete sich Engbers Kollegin, nachdem sie die Kopie eingehend betrachtet hatte.
»So ein Name dürfte relativ selten sein«, entgegnete Rach.
»Wenn es wirklich stimmt, dass dieser Colombat die Geschichte um Elodie Moïra nur erfunden hat, könnte es durchaus sein, dass Colombat Alain Moïra gekannt hat und einfach seinen Nachnamen bei seiner erfundenen Geschichte verwendet hat.«
»Du meinst, damit der Bericht einer ersten, flüchtigen Überprüfung standhielt, hat er einen Namen gebraucht, den es wirklich gab«, schlussfolgerte Engbers, der sich wieder auf seinen Stuhl gesetzt hatte.
»Vielleicht stimmt sogar die Gegend überein, aus der Alain Moïra stammte und aus der angeblich auch Elodie Moïra kam. Namen hatten damals einen sehr starken regionalen Bezug«, gab Davídsson zu bedenken. »Wissen wir denn, aus welcher Gegend in Frankreich Elodie Moïra gestammt haben soll?«
»Wenn du in dem Bericht nichts darüber gelesen hast, wissen wir es auch nicht. Werner und Colbert haben jedenfalls nichts dazu erwähnt.«
»Wir müssen sie fragen. Außerdem sollten wir unsere österreichischen Kollegen fragen, was sie über diese Nummer in ihren Akten haben. Mit der Liste aus dem Schließfach dürften die Kollegen sicher den einen oder anderen Fall aufklären können, nachdem sie so lange ermittelt haben, ohne zu wissen, wer eigentlich hinter den Nummern steht. Endlich haben diese Nummern ein Gesicht«, sagte Davídsson in die Stille, die sich für einige Sekunden über den Raum gelegt hatte.
»Wir müssen auch versuchen, herauszufinden, ob Colombat diesen Alain Moïra wirklich gekannt hat.« Engbers sah seine Kollegin an, die jetzt wieder auf die Kopie auf dem Tisch starrte. »Sabine, willst du dich darum kümmern? Du hast doch so ein ausgeprägtes Geschichtsinteresse.« Engbers grinste breit.
Die Kollegin schien nicht besonders begeistert zu sein.
Andreas Rach pflichtete ihr wortlos bei. Seine Mimik sprach dabei Bände. Er war dafür bekannt, dass er solche Aufgaben in seiner Abteilung immer weiterdelegierte. Er hatte während seiner Ausbildung und in den langen Jahren danach solche Sisyphosarbeiten zu hassen gelernt. Und jetzt, da er der Leitende Sachbearbeiter der Spurensicherung war, brauchte er sie offenbar nicht mehr zu machen.
»Es war eindeutig Selbstmord.« Der Gerichtsmediziner der Charité war in der Tür stehen geblieben. Er sah
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