Mordlicht
Die mittelgroße Brillenträgerin
mit dem nackenlangen rötlichen Haar, der etwas zu spitzen Nase und dem forschen
Auftreten, so hatte Christoph erfahren müssen, war nicht nur eine gute Polizistin,
sondern machte auch ihrem Namen alle Ehre. Ihre Bissigkeit war in der gesamten
Polizeidirektion gefürchtet.
»Guten Morgen«, grüßte sie zurück.
Christoph berichtete das wenige, was sie bisher in
Erfahrung bringen konnten, und wurde dabei von Große Jäger unterbrochen, der
sich ihnen näherte.
»Ach, die Doberfrau«, kommentierte der Oberkommissar
schon aus der Entfernung. »Da freuen sich aber alle, dass Sie wieder einmal bei
uns sind.«
Die Erste Hauptkommissarin warf Große Jäger einen
Blick über den Brillenrand zu, ließ aber seinen Anwurf unerwidert.
»Sieht aus, als wäre das Opfer mit dem Kopf gegen die
Wand geschlagen worden«, sagte sie.
»Das hat Dr. Hinrichsen auch vermutet. Näheres müssen
wir der Obduktion und der Spurensicherung überlassen.«
»Das sehe ich auch so. Wir übernehmen jetzt die
weitere Bearbeitung. Ich lasse Ihnen einen kurzen Bericht zukommen. Vielen Dank
für Ihre Unterstützung.«
Christoph war ein wenig irritiert. So verbindlich
hatte sie früher nie mit ihm kommuniziert. Er sah sich noch einmal um. Die
eingespielte Truppe der Mordkommission hatte die Arbeit aufgenommen. Jeder
Handgriff saß. Da konnten Christoph und seine Kollegen nicht behilflich sein.
So wechselte er noch ein paar Worte mit Thomas Friedrichsen von der Streife und
erfuhr, dass sich auch dort keine weiteren Neuigkeiten ergeben hatten.
Dann machten sich die drei Beamten auf den Weg zurück
in ihre Wohnungen.
*
Gegen Morgen war es diesig geworden. Vom blauen Himmel
der letzten Tage war nichts mehr zu sehen. Zwischen den Kronen der Bäume im
Schlosspark hing ein dünner Nebel, der auch in Schwaden auf die Grünflächen
herabgefallen war.
Christoph ging, wenn es sich einrichten ließ, gern zu
Fuß zur Dienststelle. Von seiner Wohnung am Rande der Stadt kam er an der
Kreisverwaltung vorbei und bog kurz darauf am Wasserturm in den Schlosspark
ein. Dort genoss er die Ruhe, denn der Lärm des morgendlichen Berufsverkehrs
drang kaum bis in die Grünanlage vor. Direkt an den Park schloss sich eine
Fußgängerzone an, der Schlossgang, der im Herzen der Stadt am Markt endete. Von
dort war es nicht mehr weit bis zum Polizeigebäude, ein kurzes Stück
verkehrsarme Straße und dann wieder der Fußweg bis zum Bahnhof, der gegenüber
vom Büro lag.
Sind sich die Husumer eigentlich bewusst, wie schön
sie es hier haben?, überlegte Christoph. Welche vergleichbare Stadt bietet so
ideale Möglichkeiten, fast alles bei kurzen Wegen zu Fuß erledigen zu können?
Mommsen war schon im Büro, als Christoph in der
Dienststelle eintraf. Nachdem sie ein paar belanglose Worte gewechselt hatten,
kamen sie auf die Ereignisse der letzten Nacht zu sprechen.
»Ein Mord – mitten in Husum – das wird für Aufregung
sorgen«, sagte Mommsen.
»Wenn wir unterstellen, dass ein Verbrechen vorliegt.
Es ist kaum anzunehmen, dass jemand zum Zwecke der Selbstverstümmelung so
heftig, wie es hier den Anschein hat, mit dem Hinterkopf gegen die Hauswand
schlägt.«
»Noch sprechen wir von Vermutungen. Aber gottlob liegt
dieser Fall von Beginn an in der Verantwortung der Mordkommission. Uns bleiben
genug andere Probleme.«
»Gibt es schon einen Bericht in der Zeitung?«, fragte
Christoph.
»Ja. Ich war auch überrascht, dass die es noch in die
heutige Ausgabe hineinbekommen haben. Aber das sind eben die Vorzüge der
Ortsnähe einer guten regionalen Zeitung. Hier.« Mommsen reichte Christoph die
»Husumer Nachrichten«. »Außerdem habe ich heute im Radio eine kurze Meldung
dazu gehört.«
»Ich glaube, ich muss mir auch angewöhnen, morgens
Welle Nord oder RSH zu hören«,
meinte Christoph. Dann überflog er den kurzen Text im Lokalteil und sah auf die
Abbildung, die den zusammengekrümmten Toten zeigte. Es war ein sachlicher
Artikel, ohne Spekulationen, der im Wesentlichen nur kurz die bisher bekannten
Tatsachen berichtete. »Ist schon etwas über die Identität des Mannes bekannt?«
Mommsen schüttelte den Kopf. »Ich habe keine
Informationen. Allerdings habe ich mich auch nicht weiter darum gekümmert.«
In diesem Moment klingelte das Telefon auf Christophs
Schreibtisch.
»Hansen, Bredstedt«, meldete sich der Anrufer. »Haben
Sie schon in die Zeitung gesehen?«
»Nur oberflächlich. Was meinen Sie?«
»Der Tote, den man heute
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